Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
sie ihn von oben bis unten abschätzig musterte.
Declan erwiderte ungerührt ihren Blick. Sie steckte in einem filigran gearbeiteten Kleid mit Reif rock voller Purpur und Perlen, in caelischem Stil mit langen fließenden Ärmeln und einem perlenverzierten Samtmieder. Jede sterbliche Kreatur wäre in solcher Garderobe in den Tropen an Überhitzung gestorben. Nicht so die Kaiserin über die fünf Reiche, die offensichtlich davon ausging, dass Kleider Leute machen.
Tryan hingegen war wesentlich legerer gekleidet und erwies sich als genauso gut aussehend, wie die Legende ihm nachsagte. Und ebenso charmant.
Mit ausgestreckter Hand kam er auf Declan zu und lächelte, als könne er kein Wässerlein trüben. »Willkommen in unserer so vielfältigen und irgendwie … zersplitterten Familie.«
Declan ergriff seine Hand vorsichtig, überrascht von der Wärme dieser Begrüßung. Zugleich war er heilfroh, im Voraus vor ihm gewarnt worden zu sein. Nichts an Tryans sonniger Art wies auch nur im Entferntesten darauf hin, dass er von allen Gezeitenfürsten, die hier am Strand versammelt waren, der mit Abstand gefährlichste und skrupelloseste war. Und in Anbetracht der Gegenwart von Jaxyn Aranville wollte das einiges heißen.
»Ich muss sagen, ich bin ein wenig verblüfft, dass Ihr zugestimmt habt und hergekommen seid.«
»Das gibt sich«, bemerkte überraschend Stellan Desean und trat vor, sodass er neben Tryan stand, »wenn Ihr erst gehört habt, was er zu sagen hat.« Er war noch für den glaebischen Winter gekleidet, den er erst vor Kurzem verlassen hatte, und schwitzte entsprechend in der tropischen Hitze von Denrah.
Entgeistert starrte Declan den neuen König von Glaeba an. »Desean?«
»Declan.«
»Was zum … was macht Ihr denn hier? Solltet Ihr nicht zu Hause sein und Euer neues Königreich regieren?«
Stellan begann, seinen Mantel aufzuköpfen. »Ich tue nur das, was Ihr und Tilly von mir verlangt habt.« Er schlüpfte erleichtert aus seinem dicken Fellmantel und hängte ihn sich über den Arm. Dann begegnete er gelassen Declans Blick.
»Wer ist Tilly?«, fragte Kinta von hinten. Sie kannte natürlich Stellan, schließlich hatte sie schon als Gemahlin des Kaisers von Torlenien agiert, als er noch als Glaebas diplomatischer Gesandter an ihrem Hof weilte. Aber sie konnte nicht wissen, wie er in diese Sache verwickelt war.
»Die Hüterin der heiligen Überlieferung«, verkündete Jaxyn mit theatralisch erhobenen Händen.
Tryan schüttelte den Kopf. »Das ist ein trauriger Tag, muss ich sagen, wenn wir so weit gesunken sind, dass wir uns schon mit der Bruderschaft gegen unsere eigene Art verbünden.«
Also daher wehte der Wind. Da er Tilly eigentlich gut genug kannte, hätte ihr Schachzug Declan nicht weiter überraschen sollen. Natürlich wollte sie in dieser Mission eine Hand der Bruderschaft dabeihaben. Aber er war doch einigermaßen verblüfft davon, wen sie als Abgesandten ausgewählt hatte. »Ihr seid als Vertreter der Bruderschaft hier?«
Jaxyn lächelte ihn an. »Also das könnt Ihr ihnen wohl kaum übel nehmen, Hawkes. Ich meine, Ihr werdet ja wohl nicht erwarten, dass sie denken, sie könnten sich heutzutage noch auf Euch verlassen, oder?«
»Was soll das heißen?«, fragte Brynden an Declan gewandt, und seine Miene füllte sich mit Misstrauen. »Ihr wart Mitglied der Bruderschaft?«
Bevor Declan antworten konnte, fuhr Jaxyn dazwischen. »Du meine Güte … dachtest du etwa, er wäre einer von den Guten?« Er lachte über Bryndens finsteren Blick. »Du lernst es wohl nie, was, Bryn?«
Kinta ignorierte Jaxyn und musterte die anderen mit gerunzelter Stirn. »Wo ist Diala?«
Syrolee meldete sich zu Wort und drängte sich dabei wieder ganz nach vorne durch. Offenbar argwöhnte sie, sie könnte bei irgendetwas Wichtigem übergangen werden. »Diala hat sich entschlossen, Lyna nach Senestra zu folgen. Immerhin ist Ambria die beste Freundin ihrer leiblichen Schwester, und sie kennen sich gut. Sie glaubt, sie kann dort vielleicht mehr ausrichten als hier bei uns.«
Das ergab einen gewissen Sinn. Declans Blick wanderte prüfend über die kleine Versammlung. Ihre Signatur in den Gezeiten verriet ihm weit mehr über sie als ihre Kleidung oder ihr Benehmen. Rance und Krydence waren sich sehr ähnlich und hatten auch mit Engarhod mehr gemein als nur flüchtige Verwandtschaft. Der hatte sich ein Stückchen entfernt eine Palme gesucht und darunter niedergelassen. Er befreite sich von seinen Stiefeln, faltete die
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