Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
Cayal die Steilwand erklommen hatten, wandten sich einige Leute hastig ab und gingen auf Distanz. Sie fürchteten wohl, dass hier noch mehr Überlebende kamen, mit denen sie das Wenige, was sie vor der Flut hatten retten können, würden teilen müssen. Andere, vor allem die Kinder, scharten sich um die Fremden und baten sie um Hilfe. Jedenfalls nahm Declan an, dass sie dies taten. Obwohl er die Sprache nicht verstand, konnte er das Flehen in ihren Augen erkennen.
Dann näherte sich ihnen eine Frau, vielleicht die Großmutter mancher der Kinder. Sie scheuchte die Kleinen beiseite und stieß einen schnellen Wortschwall hervor, den Declan nicht verstand. Er vermutete, dass sie um etwas bat, denn sie deutete auf die Kinder ringsum. Trotz der ihm fremden Sprache waren ihr verzweifelter Blick und ihr flehender Tonfall unmissverständlich.
»Worum bittet sie?«
»Um Wasser, glaube ich«, sagte Cayal. »Mein Stevanisch ist doch schon ziemlich eingerostet.«
»Sind das hier die einzigen Überlebenden?«
Cayal gab die Frage an die Frau in ihrer Sprache weiter, schüttelte dann den Kopf und wies nach Westen. »Sie sagt, die Verwundeten haben sie zum Tempel gebracht.«
»Dann steht er also noch«, sagte Declan erleichtert. Das Letzte, was sie jetzt brauchten, war ein vergrätzter Kentravyon, weil sein Tempel davongespült worden war. »Können wir ihnen helfen?«
»Und wie?«, fragte Cayal.
Declan blickte durch die Dunkelheit auf die Schar der Überlebenden. Abgesehen von ein paar Fackeln, die ein wenig flackerndes Licht spendeten, gab es keine Feuer. Das wies vermutlich darauf hin, dass alles Feuerholz, was sie hatten finden können – vorausgesetzt, sie hatten überhaupt daran gedacht, welches zu suchen – zu nass war, um zu brennen.
»Wir könnten doch versuchen, ihnen etwas Feuerholz zu trocknen, oder? Und vielleicht etwas Trinkwasser auftreiben.«
»Aber woher nehmen?«, fragte Cayal mit einem zweifelnden Blick. »Ihre Brunnen sind vermutlich allesamt voll Meerwasser.«
»Könnten wir das nicht irgendwie entsalzen?«
»Mithilfe der Gezeiten, meinst du?« Cayal starrte ihn nachdenklich an. »Das könnte klappen, jetzt wo du es sagst.«
Declan war maßlos erleichtert, das zu hören. Das schlechte Gewissen aufgrund der Erkenntnis, dass er wahrscheinlich die Schuld an diesem Desaster trug, lastete schwerer auf ihm, als er sich klargemacht hatte. »Und wie machen wir das?«
»Wir machen gar nichts dergleichen.« Cayal schüttelte energisch den Kopf. »Wasser zu entsalzen erfordert ein Ausmaß an Kunstfertigkeit, das du dir noch nicht mal vorstellen kannst.« Ohne Declans Antwort abzuwarten, drehte er sich um und sprach kurz mit der Alten, die sichtlich erleichtert nickte und eine junge Frau herbeiwinkte. Cayal wandte sich wieder Declan zu. »Sie gibt dir ihre Enkelin mit, um nach trockenem Holz zu suchen. Sie weiß nicht, wer wir sind, nur, dass wir unsere Hilfe angeboten haben. Also lass es dabei bewenden und geh ein bisschen diskret vor.«
»Warum sagst du ihnen nicht, dass du ein Gezeitenfürst bist?«
»Wahrscheinlich würden sie mir gar nicht glauben. Und außerdem haben wir keine Zeit zu verlieren. Also zieh los und tu so, als wärst du einfach besonders gut im Holzsammeln. Ich sehe mal zu, was ich mit dem Brunnen anstellen kann. Danach können wir uns ein bisschen ausruhen – und vielleicht«, er beäugte kurz das hübsche, wenn auch etwas kuhäugige Mädchen, das vorgetreten war, um Declan bei der Suche nach Feuerholz zu unterstützen, »auch noch ein paar Gefälligkeiten ergattern. So oder so, mit ein bisschen Glück sind wir morgen früh wieder weg, und diese armen Teufel hier kriegen weiter gar nichts mit.«
Declan machte einen Schritt in westlicher Richtung. »Wir sollten noch nach den Verwundeten im Tempel sehen. Wir könnten sie doch heilen.«
Cayal hinderte ihn am nächsten Schritt, indem er ihn am Arm packte. »Schön hiergeblieben, Ratz. Kentravyon ist schon auf dem Weg dorthin. Lass ihn in Ruhe. Du würdest ihm nur den Spaß verderben.«
Da war etwas dran. Und Declan musste dringend etwas tun, er hatte schon viel zu lange stillgestanden. Er drehte sich zu dem Mädchen um. Ihre Augen waren von Schock und Trauer verschleiert. »Frag sie, wie sie heißt.«
Cayal sagte etwas auf Stevanisch zu der jungen Frau und teilte dann Declan ihre Antwort mit. »Ihr Name ist Gasandra.«
»Sag ihr, dass wir gekommen sind, um zu helfen.«
»Das hab ich schon. Geh Feuerholz suchen, Ratz. Ich bringe den
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