Fantasien der Nacht
fest, bis er schließlich nach Hause käme, dachte sie unglücklich.
Vom Sund her heulte der Wind, um gleichermaßen über das Haus und Tamara herzufallen. Ihre Jeans war klamm vom Schnee und der feuchten Erde. Ihre Hand pochte vor Schmerz. Sie vermochte nicht zu sagen, wann er zurückkehren würde oder ob er heute Nacht überhaupt wiederkam.
Sie fürchtete, wenn sie noch länger hier ausharrte, würde sie Frostbeulen bekommen. Nein, sie musste irgendwie hineingelangen. Ganz gleich, wie wütend Eric sein würde, sie hatte sich selbst kaum eine andere Wahl gelassen. Sie hatte nicht die Absicht, erneut den Sund herauszufordern, indem sie versuchte, auf demselben Weg zu verschwinden, den sie gekommen war.
Die Terrassentür erschien ihr wie ein Omen. Wäre es eine andere Art von Tür gewesen, hätte sie keine Chance gehabt. Aber Terrassentüren bekam sie auf. Sie war bereits ein- oder zweimal gezwungen gewesen, ihre eigene zu knacken, wenn sie ihren Hausschlüssel verlegt hatte.
Sie griff in ihre Manteltasche, in der Hoffnung, dass sie sie dabeihatte – ja! Als sie ihre Faust herauszog und sie öffnete, kam darin eine kleine silberne Nagelfeile zum Vorschein. Sie wandte sich der Terrassentür zu und zögerte. Eine neuerliche Bö drang vom Sund herüber, und plötzlich wirbelte feuchter Schnee empor, um ihr winzigen Glasscherben gleich ins Gesicht zu schneiden. Sie verkroch sich in ihren Mantel und beeilte sich. Geschickt ließ sie die Feile zwischen die beiden Paneele gleiten, bekam den Riegel zu fassen und öffnete.
Tamara trat ein und zog die Tür hinter sich zu. Ihr ging durch den Kopf, dass es drinnen nicht viel wärmer war als draußen; dann entdeckte sie den riesigen Marmorkamin weiter vorn, in dem immer noch die Glut eines vergessenen Feuers glomm. Sie zog ihre Stiefel aus, streifte den Mantel ab und eilte hinüber zum Kamin. Ein Holzstapel daneben leistete ihrer Hoffnung auf wohlige Wärme Vorschub, und sie beugte sich vor, um mehrere Holzscheite aufs Rost zu schmeißen, ehe sie ihre beinahe gefühllosen Hände über das Feuer hielt.
Einen Moment lang stand sie einfach bloß da und sog die Wärme in sich auf, bis die kalten Schauer aufhörten, ihren Körper zu peinigen. Feuerzungen leckten hungrig an den Holzklötzen, die laut knackten und winzige Funkenschauer den Schornstein emporsandten.
Nach einer Weile ließ sie die Hände sinken und sah sich um. Sie verspürte den Drang, sich die Augen zu reiben und noch einmal hinzuschauen. Ihr war, als wäre sie in die Vergangenheit zurückversetzt worden. Der Stuhl hinter ihr war das Werk vollendeter Handwerkskunst. Jedes winzige Stück Stoff des Möbelstücks war mit Vögeln, Blumen und Blättern bestickt.
Die hölzernen Arme und Beine wiesen am Ende jeweils eine schneckenähnliche Form auf. Vor ihr stand eine Fußbank mit demselben Muster, und Tamara beugte sich vor, um mit einer Fingerspitze ehrfürchtig über den Bezug zu streichen. Sämtliche Möbel stammten aus derselben Epoche. Sie war zwar keine Expertin, was derlei anbetraf, doch sie nahm an, dass es sich um die Zeit von Louis XV. handelte, und ein Blick genügte, um zu erkennen, dass sich die Möbelstücke in hervorragendem Zustand befanden. Vergoldete Tische mit Marmorplatten und mit Engeln beschnitzten Beinen waren im Raum verteilt.
Überall thronten Stühle von derselben Art wie der erste. Das Sofa … nein, es war mehr ein Kanapee und an heutigen Maßstäben gemessen recht klein. Die dunkelgrüne Samtpolsterung hob sich von den aufwendig geschnitzten Holzarmen und – beinen ab.
Tamara nahm den Raum eingehender in Augenschein und bemerkte hoch über sich einen Messingkristallleuchter. An einem Ende des Zimmers reihten sich Regale, die eine Stereoanlage im Wert von mehreren tausend Dollar beherbergten, ebenso wie Unmengen von CDs, LPs und Kassetten.
In der Nähe davon befand sich eine vergleichsweise gewöhnlich wirkende Theke, die in dem mit Antiquitäten gefüllten, mit Parkettboden versehenen Raum gänzlich fehl am Platze wirkte. Auf jedem Sockel konnte sie Öllampen ausmachen, auch wenn an der Wand ein Lichtschalter zu finden war.
Die Sonne sank tiefer. Sie ging zur Bar hinüber, schaltete das Licht ein und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie konnte einen Drink gebrauchen. Trotz der Wärme, die den Raum erfüllte, befiel sie immer wieder ein Zittern. Wenn Eric ihr verzeihen konnte, dass sie in sein Haus eingebrochen war, überlegte sie, würde er es ihr gewiss auch nachsehen, wenn
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