Fantastische Jungs. Gay Fantasy Geschichten.
keine Antwort gegeben«, erwiderte ich aufgeregt. »Er hat mich und mein Anliegen offenbar vollkommen vergessen!«
»Der Fürst vergisst niemals etwas«, versetzte Charon würdevoll.
»Er hat selbst gesagt, dass er nicht einmal mehr weiß, ob Orpheus erfolgreich war oder nicht.«
»Aber selbstverständlich weiß er das. Es war ein gutes Zeichen, dass er diese Bemerkung gemacht hat.«
»Wie das?«, fragte ich irritiert.
»Es bedeutet, dass er sich alle Möglichkeiten offen hält – er hat also noch lange nicht ‘nein’ gesagt. Und er hat Sie angelächelt.«
»Wann erfahre ich seine Entscheidung?«, erkundigte ich mich seufzend.
»Sie haben gewiss Verständnis dafür, dass ein Mann in seiner hohen Stellung sich ausgerechnet zu seinem Geburtstag nicht gerade mit Ihren Problemen herumschlagen möchte«, erklärte Charon. »Fragen Sie später nach!« Er klatschte in die Hände, woraufhin einer der vielen hübschen Chiton-Silbersandalen-Diener vom Saaleingang her angelaufen kam. »Kümmere dich um den jungen Mann hier!«, gab Charon Anweisung. »Er braucht etwas zu essen und ein Bett.« Dann wandte er sich ab und ging rasch in den Speisesaal, den anderen nach.
»Komm mit!«, forderte mich der Helfer freundlich auf und musterte mich dabei neugierig. »Wir haben im Erdgeschoss ein paar leere Zimmer. Wie lange willst du bleiben?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte ich ziemlich mutlos.
»Ich wollte schon immer mal einen lebenden Menschen sehen«, plauderte der Diener munter, während wir die Treppen durch das festtägliche Gewühl wieder hinuntergingen. »Mein Großvater erzählt manchmal davon, dass er den lebendigen Herakles kannte, aber der war ja kein richtiger Mensch, sondern ein Halbgott. Ich bin erst sechshundertneunundachtzig Jahre alt, da habe ich noch nicht so viel Erfahrung.«
»Ach!«, brachte ich nur heraus.
»Was möchtest du zu essen haben – lieber Schwarzbrot mit schwarzgeräuchertem Schinken oder ein warmes Essen mit Schwarzwurzeln, dunklem Wildreis und gegrillten Schwarzdrosseln? Auf jeden Fall gibt es heute Sachertorte zum Nachtisch für uns alle, weil der Chef Geburtstag hat.«
»Ich ziehe das Schinkenbrot vor.«
»Und dazu schwarzen Kaffee oder schwarzen Tee?«
»Gibt es auch Milch bei euch zum Kaffee?«
»Milch?«, fragte der Mann verwundert. »Was ist das?«
»Nicht so wichtig … ich nehme Tee. – Wie heißt du?«
»Minikos.«
»Ich heiße Otto. – Sag mal, Minikos, spielen im Bankettsaal oben wirklich Mozart und Vivaldi?«
»Ja, klar! So ein paar berühmte Tote werden immer mal eingeladen. Der Fürst mag Mozart sehr. Deshalb ist der ja auch schon so jung gestorben. Der Chef soll Thanatos extra nach ihm geschickt haben damals. Kennst du Thanatos?«
»Den Tod?« Ich begann wieder zu frieren.
»Ein toller Typ! Ich mag ihn.« Minikos nickte eifrig, als ob er von einem bekannten Popstar spräche. »Mir gefällt solche Musik aber nicht so«, fuhr er fort. »In meiner Freizeit höre ich mir Elvis Presley an, oder auch mal John Lennon. Elvis ist Spitze! Es ist immer sehr voll bei seinen Auftritten.«
»Ihr beobachtet unsere Verstorbenen also … zum Zeitvertreib?«
»Ja, klar, sonst ist doch hier nicht viel los. Immer bloß arbeiten, arbeiten! Was hast du für einen Beruf?«
»Ich arbeite beim Berliner Senat, Bereich Kultur. Ich bereite Ausstellungen und Veranstaltungen vor. Nichts Aufregendes.«
»Was machst du am liebsten? Was willst du hier machen, wenn du tot bist?«, fragte Minikos in naiver Frische.
Ich versuchte, den trockenen Kloß in meinem Hals zu ignorieren.
»Am liebsten … war ich mit meinem Freund zusammen …«
Minikos lachte.
»Ja, der Sex! Das wollen die meisten Toten hier am liebsten machen, wenn sie zu Anfang gefragt werden. Aber das geht gar nicht, weil sie kein Blut mehr haben, die Schlappis. Die bekommen nie einen Steifen und haben nie einen Orgasmus.«
Ich erwiderte nichts. Noch ein Grund mehr, Manuel hier herauszuholen!
Wir hatten das Erdgeschoss erreicht. Minikos führte mich in einen großen, schlicht gestalteten Speisesaal, offenbar die Kantine für die Mitarbeiter. An einer Theke wurden uns von einem Chiton-Bediensteten zwei Teller mit reichlich belegten Schinkenbroten, zwei große Tortenstücke und zwei Kannen Tee ausgehändigt. Wir setzten uns an einen der einfachen Tische. Obwohl ich immer wieder von den Unterweltbürgern betrachtet wurde, die ebenfalls zum Essen kamen, hatte ich nicht das unangenehme Gefühl, als Sensation
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