Feenkind 2: Im Reich der Feen (German Edition)
Eliza grimmig und fixierte den Kompass wieder auf Dhalias Signatur.
Dann atmete sie tief durch und blickte unschlüssig auf die schlafende Gestalt herunter. Der zweite Gedanke - oder vielmehr die Erkenntnis, die sie gerade getroffen hatte - war schlichtweg niederschmetternd. Sie hatte so viele Monde mit der Jagd nach dem Mädchen verbracht, dass sie überhaupt nicht mehr daran gedacht hatte, ob Dhalia überhaupt noch von Interesse für irgendjemanden außer ihr selbst war. Gewiss, wenn sie sie zurück brachte, würde sie verhört, womöglich gefoltert oder getötet, aber es würde kaum die Notiz des Herrschers erlangen. Schließlich hatte das Mädchen keinen Schaden angerichtet, es hatte lediglich ein paar Gesetze über den Gebrauch magischer Artefakte gebrochen. Wieso sie das getan hatte, war zwar nicht bekannt, doch es spielte eigentlich auch keine Rolle. Solange Eliza ihren Plan - denn einen Plan musste die Kleine haben, so sicher, wie der Sonnenaufgang am Morgen - nicht kannte oder sie nicht auf frischer Tat ertappte, war Dhalia völlig wertlos für sie. Erst wenn sie das Reich vor einer noch unbekannten Bedrohung rettete oder zumindest einen Beweis für Dhalias unerlaubte Fähigkeiten hatte, würde sie in Ehren nach Hause kommen können.
Eliza blieb noch einige Zeit ruhig stehen und starrte auf die schlafende Frau zu ihren Füßen hinab, während Schneeflocken immer dichter herab fielen und die schwarzen Haare der Dunkelfee mit einem weißen Schleier bedeckten. Wer bist du? Was hast du vor? Warum ich? riefen Elizas Gedanken ihr entgegen, doch sie bekam keine Antwort. Schließlich lächelte sie resigniert und machte sich auf den Rückweg. Es würde wohl noch eine Weile dauern, bis sie wieder nach Hause gehen konnte.
Als Dhalia erwachte, war sie fast vollständig eingeschneit. In der Nacht war eine dicke Schicht Neuschnee gefallen, die alles wie eine flauschige Daunendecke bedeckte. Staunend richtete die junge Frau sich auf und klopfte sich den Schnee von der Kleidung. Die Sonne ging gerade auf und die Welt funkelte und glitzerte in ihrem Licht. Alles schien so unschuldig, so rein, so gut, dass Dhalia dem Drang widerstehen musste, vor schierer Freude lauthals zu lachen. Sie breitete die Arme aus und drehte sich einige Male um sich selbst. Es war schön, einfach nur ein lebendiger Teil dieser Welt zu sein.
Morgenrot schnaubte in der Nähe und erinnerte Dhalia daran, dass sie auch Verpflichtungen hatte. Sie kramte in ihrer Tasche nach ein paar verschrumpelten Äpfeln und ging damit zu ihrem Pferd herüber. Nachdem sie Morgenrot ihren Snack überbracht und das Pferd vom Schnee trockengerieben hatte, biss Dhalia selbst nachdenklich in einen Apfel und studierte aufmerksam die Landkarte, die sie sich in Alandia besorgt hatte. Wenn alles gut ging und sie auf keine unvorhergesehenen Hindernisse stieß, würde sie das Gebirge in rund vier Wochen erreichen. Unsicher strich sie mit den Fingerkuppen über die auf der Karte eingezeichneten Spitzen des Dunaíi-Gebirges. Im Winter diese Höhen überqueren zu wollen, war verrückt. Vielleicht würde sie sich doch noch einen Platz zum Überwintern suchen müssen. Darüber konnte sie sich aber später noch den Kopf zerbrechen. Erst musste sie das Gebirge überhaupt erreichen. Rasch verstaute Dhalia die Karte in ihrem Rucksack und packte ihre restlichen Sachen zusammen, dann schwang sie sich auf Morgenrots Rücken. Ohne sich noch einmal umzublicken, ritt sie wieder auf die Landstraße hinaus.
Eliza wartete, bis Dhalia sich weit genug entfernt hatte, dann folgte sie ihr in sicherem Abstand. Sie war äußerst gespannt darauf, endlich zu erfahren, was das Mädchen im Sinn hatte.
* * *
Chris schlug sich die Kapuze über den Kopf und wickelte seinen Schal fest um den Kragen seines Mantels. Seine Augen tränten von den kleinen Schneeflocken, die der Wind ihm ins Gesicht trieb. Missmutig blickte er in den trüben Himmel. Es wurde bereits dunkel. Er fluchte lautlos. Schon wieder war er nicht so weit gekommen, wie er es vorgehabt hatte. Er konnte nicht fassen, wie viel Zeit er bereits verloren hatte. Und jeder Schritt, den er machte, brachte ihn weiter von Dhalia weg. Es war eine blöde Idee gewesen, zum See zu reiten. Er hätte ihr sofort folgen sollen. Irgendwo heulte ein hungriger Wolf und Chris fröstelte. Es war nicht sicher, in diesen Zeiten allein unterwegs zu sein. Vor allem als Frau. Ihr konnte alles Mögliche zustoßen. Der Wolf heulte abermals und mutloses Hundegekläff
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