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Feentod

Feentod

Titel: Feentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Breinl
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ging sie an ihm vorbei zu ihrem Zimmer. Seit seiner letzten Aktion redete sie nicht mehr mit ihm. Wenigstens diesen stummen Protest leistete sie sich.
    Noraya legte sich auf ihr Bett und starrte ein paar Minuten gegen die Zimmerdecke. Ihre Gedanken waren bei Staff. Beim Abschied gestern hatte er sie gar nicht mehr loslassen wollen. Sie bekam weiche Knie und Herzflattern, wenn sie an seinen intensiven Blick dachte. Nach Alina war er der erste Mensch, bei dem sie das Gefühl hatte, ihm alles sagen zu können. Ohne dass sie erklären konnte, warum, gab er ihr die Sicherheit, einfach so sein zu können, wie sie war.
    Sie hatte ihm versprochen, all die bisherigen Aktionen des Schattens aufzuschreiben. Staff hatte ihr geraten, das so präzise wie möglich zu machen. Mithilfe ihres Kalenders ging sie alle Bandproben und Konzerttermine durch und verfasste am PC eine kurze Chronik der Geschehnisse. Staff wollte unbedingt eine Kopie davon haben. Er hatte die Idee, dass man dann vielleicht Verdächtige ausspionieren – deren Gewohnheiten und eventuelle feste Termine herausfinden konnte, um dann Rückschlüsse zu ziehen, ob sie an dem fraglichen Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt hätten, ihr aufzulauern.
    Nach 20 Minuten schaute sich Noraya ihr Ergebnis an:
    Sonntag, 11. Februar gegen 21 Uhr: vermutlich erste Begegnung mit dem Schatten → Rose und Buchseite mit Aufforderung, ihn zu treffen
    Freitag, 25. Mai gegen 19:30 Uhr: Luftballon (Kati war da)
    Montag, 28. Mai um 04:30: Weckruf (war das der Schatten?), später Foto im roten Umschlag und gegen Nachmittag die Droh-SMS mit dem Auftrag
    Dienstag 29. Mai, nachmittags: Brief abgelegt auf Spielplatz
    Montag, 4. Juni am Abend: Engel vor der Tür
    Mittwoch, 6. Juni, mittags: Oberteil und am Abend: fühlte mich verfolgt und fotografiert
    Sonntag, 11. Juni, abends: Konzert, an dem ich das Oberteil getragen habe (Kati war da)
    Montag, 12. Juni, abends: obszöne E-Mail an meinen Vater
    Dienstag, 13. Juni, nachmittags: Anruf mit Drohung (Helia!)
    Schockiert starrte Noraya auf den Bildschirm. Das war wirklich krass. Seit knapp drei Wochen war sie nun schon diesem Terror ausgesetzt. Jetzt, da sie die Vorfälle schwarz auf weiß aufgelistet sah, wurde ihr noch stärker bewusst, wie sehr sie der Erpresser bedrängte. Schnell tippte sie noch einen kleinen Gruß an Staff, hängte die Liste an und schickte die Mail ab. Sie war gespannt, was ihm dazu einfallen würde. Angetrieben von dem Wunsch, endlich etwas zu tun, suchte sie im Internet nach dem Thema »Stalking«. Wie sie nachlesen konnte, kam es gar nicht so selten vor, dass Menschen von anderen verfolgt und bedrängt wurden.
    Â»Das ist also nicht nur ein Problem von Berühmtheiten«, brummte sie in sich hinein und hätte diesen Link zu gerne an Alina geschickt. Von wegen ich will mich nur wichtigmachen. Sofort spürte sie wieder, wie sehr sie Alinas plötzliche Feindseligkeit traf. Warum kann ich diese blöde Kuh nicht ein für alle Mal abschreiben?
    Ein Signalton riss sie aus ihren Gedanken. Hatte ihr Staff schon geantwortet? Oder war es Alina? Erwartungsvoll kontrollierte Noraya ihren Posteingang. Aber die Mail kam nicht von Staff – der Absender war unbekannt. Ihr Herz schlug schneller, als sie die Betreffzeile las: Nora, hör das mal an. Ist das unser Song? Wie in Trance öffnete sie die Nachricht. Sie enthielt einen YouTube-Link, sonst nichts. In Noraya wuchs die Angst. Welches perfide Spiel hatte der Schatten sich jetzt wieder für sie ausgedacht? Oder stammte der Link doch von jemand anderem? Sie musste es wissen. Eilig klickte sie auf den Link. Prompt tönte leise Musik aus ihren Lautsprechern.
    Â»Every breath you take …« Statt Sting war auf dem Bildschirm nur ein blauer Hintergrund eingeblendet, auf dem der Text nach und nach wie bei einem Karaokevideo erschien. Noraya starrte fassungslos auf den Text.
    Â»Every step you take, I’ll be watching you …« Sie konnte sich nicht rühren, während die Musik ihr Zimmer erfüllte. »You belong to me.« Es reichte! Mit zitternder Hand führte sie den Curser, schloss das Fenster und die Musik brach abrupt ab.
    Â»Das darf nicht wahr sein«, flüsterte sie in die Stille hinein. Sie schloss die Augen und presste die Finger, halb zu Fäusten geballt, gegen ihren Mund. Der Song hallte in ihrem Kopf weiter und machte es ihr unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen.

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