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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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einzigen Zuschauer. Der ihr Feind war.
    Carl begab sich erneut zur Mitte des Platzes und atmete tief die heiße Nachtluft ein.
    All das ist ein sehr schöner Anblick, dachte er zunächst. Dann korrigierte er sich: ein imposanter Anblick. Es schien ihm, als sei seine Wahrnehmung gestört, da das, was er sah, so unerhört real wirkte. Über der grünen Kuppel flatterte die seidig glänzende rote Fahne mit Hammer und Sichel, die vor dem schwarzen Nachthimmel von Scheinwerfern angestrahlt wurde und sich so elegant bewegte, als würde sie ständig von einem ästhetisch wie politisch korrekten Wind gefönt.
    Er betrachtete eine Weile die rote Fahne; in seiner Zeit bei der Clarté hatte er bei einer Demonstration eine solche Fahne einmal zusammen mit dem Sternenbanner verbrannt, aber das, was er hier sah, war das Original.
    Noch vor etwa einem Monat wäre Moskau vermutlich der letzte Ort auf Erden gewesen, den er sich als Aufenthaltsort hätte vorstellen können.
    Einem Stimmungsumschwung folgend, ging er quer über den Platz in Richtung U-Bahnstation, aus der er gekommen war. Aber direkt vor dem Museum, als er schon zum U-Bahn-Eingang unterwegs war, erschien fast wie gerufen ein Taxi, der einzige Wagen weit und breit.
    Er winkte den Wagen, einen gelben Wolga, an den Bürgersteig heran, kletterte auf den Rücksitz und sagte, er wolle zur schwedischen Botschaft in der Mosfilmowskaja 60.
    Der Taxifahrer antwortete nicht und verzog keine Miene, fuhr aber sofort in einer Richtung los, die Carl falsch vorkam.
    Und als ihm nach etwa einer Minute aufging, daß der Wagen tatsächlich von der schwedischen Botschaft weg und in Richtung KGB-Zentrale fuhr, fragte er, nachdem er den russischen Satz im stillen zweimal wiederholt hatte, ob der Herr Taxifahrer ihn verstanden habe und der Wagen tatsächlich zur Botschaft unterwegs sei.
    Aber ja, man müsse nur ein wenig herumkurven, um wegen einiger Einbahnstraßen auf den richtigen Weg zu kommen, und natürlich fahre er zur schwedischen Botschaft. Drei Kronen. Eishockey. Ob er vielleicht Tumba Johansson kenne?
    Das Taxi fuhr anschließend um ein großes graues Gebäude mit hohen Granitsäulen herum und dann in der richtigen Richtung weiter. Carl bemühte sich eine Weile zu erklären, daß russisches Eishockey sehr gut sei, daß die Schweden die sowjetischen Sportler bewunderten. Er, Carl, habe eine Zeitlang in den USA gewohnt, ziehe aber das europäische Eishockey vor, wie es in Schweden und der Sowjetunion gespielt werde.
    Es ging besser als erwartet. Der Taxifahrer schien sein Russisch zu verstehen, und wie sich herausstellte, hatte er über Eishockey ähnliche Ansichten wie sein Fahrgast.
    Wenn der Fahrer, der so passend aufgetaucht war, zum Geheimdienst gehörte, würde er demnach berichten, daß Carl in den USA gewohnt hatte, was sie offenbar aber schon wußten. Er hatte allerdings auch nicht die Absicht, ihnen während seiner Zeit hier in Moskau etwas vorzuenthalten, nichts außer seinem Auftrag.
    Am Botschaftsgebäude saßen tatsächlich drei große goldene Kronen. Er hatte sie bei seiner Ankunft übersehen. Er ließ den Wagen zur Rückseite fahren, vorbei an dem sowjetischen Wachposten, der den Wagen anhielt und kurz auf den Rücksitz sah, bevor sie zum Tor am E-Block fahren durften, in dem Carl wohnte.
    Der Fahrer hatte sein Taxameter nicht eingeschaltet und verlangte jetzt zehn Rubel. Das war rund dreimal soviel wie der übliche Fahrpreis. Das überzeugte Carl davon, es mit einem normalen, ehrlichen, zivilen Taxifahrer zu tun zu haben, so daß er sofort sein kleines Bündel roter Zehn-Rubel-Scheine aus der Tasche zog, das er sich in der Botschaft hatte geben lassen. Er schalte munter einen Schein ab und reichte ihn dem Fahrer, der jetzt alle Mühe hatte, sowohl sein Erstaunen über den mühelosen Betrug wie seine allzu offenkundige Freude zu beherrschen.
    Keine Angst, eines Tages werde ich dich auch bescheißen, sagte Carl fröhlich auf schwedisch, ohne auch nur den Versuch zu machen, diese Worte ins Russische zu übersetzen.
    Er schlug die Wagentür zu, schlenderte an den Tennisplätzen vorbei und ging um die Ecke, wo er seit ein paar Stunden in einer total schwedisch eingerichteten Wohnung wohnte, die, wie man ihm angedeutet hatte, genauso abgehört wurde wie alles andere auf dem Botschaftsgelände.
    Normalerweise hatten Neuankömmlinge sowohl eigene Möbel als auch Frau und Kinder bei sich. Carl war einer der äußerst seltenen ledigen und nachts einsamen Militärattachés in

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