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Feind des Feindes

Feind des Feindes

Titel: Feind des Feindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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es sich um nichts handeln konnte, was nicht noch weitere eineinhalb Stunden warten konnte; er wollte jede Ausrede vermeiden, die es ihm erlaubte, vor dem Training zu kneifen.
    Gegen seine Gewohnheit beschloß er, mit dem Schießen zu beginnen. Er wollte sehen, wie seine gegenwärtig deprimierte Stimmung die Präzision beeinflußte. Wer verzweifelt, wütend, erschreckt oder aufgeregt ist, zielt wesentlich schlechter als sonst.
    Er wählte den Revolver und schoß in Sechserserien auf die maßstabgerecht verkleinerten Zielscheiben, aber das Ergebnis geriet ganz und gar nicht so, wie er es erwartet hatte. Im Gegenteil: Bei sieben der acht Serien, welche die Munitionsschachtel erlaubte, schoß er so gut wie fehlerfrei. Waffen verwandelten ihn. Das war eben so. In dem Augenblick, in dem sich seine Hand um den Kolben schloß, verschwand alles andere. Es war, als wäre die gesamte Umwelt ausgelöscht bis auf die Signale zwischen rechtem Zeigefinger, Gehirn und Auge. Es war, als wäre genau dies seine einzige richtige Identität, das einzige, was nicht Verstellung und Unsicherheit war.
    Er sprühte den Revolver mit Waffenöl ein und reinigte ihn, bevor er ihn wieder an seinen Platz legte und den Waffenschrank zuschloß. Dann zog er sich um und absolvierte in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung sein Gymnastik und Gewaltprogramm.
    Als er geduscht und sich rasiert hatte, rief er Sams Sekretärin an und erklärte, er werde in einer halben Stunde eintreffen. Sie konnte ihm nicht sagen, worum es ging, doch es müsse um etwas Großes gehen, erklärte sie, denn seit sechs Uhr morgens jage eine Konferenz die andere. Alle Leute schienen ziemlich aufgeregt zu sein.
    Er überlegte, ob er ein Taxi nehmen sollte, kam dann aber zu dem Schluß, daß er sich genausogut etwas später melden konnte, wenn die Konferenzen schon zu Entscheidungen geführt hatten. Er war immerhin nur Operateur, und wenn die Strategen irgendwelche Beschlüsse gefaßt hatten, war er nur selten in der Lage, mehr als marginale Vorschläge für taktische Verbesserungen zu machen. Er beschloß, einen Spaziergang zum Generalstab zu machen. Es war immerhin ein sehr schöner Sommermorgen.
    Um 9.13 Uhr waren die Vertreter des zivilen Sicherheitsdienstes zum Kungsholmen zurückgekehrt, um für den Chef des Russenbüros, dem wegen seiner seltsamen Jacketts wohlbekannten Polizeidirektor Stig Larsson, die Tore der Hölle zu öffnen.
    Der TRISTAN-Bericht war den Säpo-Leuten nur in dem Teil, der ihren eigenen Mann betraf, mitgeteilt worden. Dagegen war nichts über Carl oder den Obersten bei der marinetaktischen Einheit des Generalstabs gesagt worden, der TRISTAN zufolge den Codenamen FISCHADLER erhalten hatte.
    Die operative Reihenfolge war selbstverständlich. Da der vermeintliche FISCHADLER Urlaub hatte und sich schon in seinem Sommerhäuschen draußen in Furusund befand, sollte er bis auf weiteres nur einer optischen Überwachung und dem Abhören seines Telefons ausgesetzt werden. Dagegen sollten Verhöre und Hausdurchsuchungen gegen Polizeidirektor Larsson sofort erfolgen. Doch das war einzig und allein Angelegenheit der Säpo.
    Die militärische Konferenz hatte eineinhalb Stunden vor Eintreffen der Säpo-Vertreter begonnen. Und die Hauptfrage galt der eventuellen Geheimhaltung der Abschnitte des TRISTAN-Berichts über Korvettenkapitän Hamilton vor den zivilen Kollegen. Rein juristisch war das eine zweifelhafte Maßnahme. Formell war es Sache der Sicherheitspolizei, bei Spionageverdacht gegen militärisches sowie ziviles Personal in Schweden Ermittlungen anzustellen.
    Praktisch und politisch jedoch sah die Sache völlig anders aus. Was der Oberbefehlshaber wußte, was Samuel Ulfsson und der Alte sowie Fregattenkapitän Lallerstedt über Carl und Operation Big Red wußten, war dem Chef des eigenen Abschirmdienstes, Oberstleutnant Borgström, vollkommen unbekannt. Folglich hatte er darauf bestanden, der TRISTAN- Bericht müsse der Säpo in voller Lange vorgetragen werden.
    Zugleich war es unmöglich, sich an der selbstverständlichen Entscheidung vorbeizumogeln, daß gerade Borgström bei Verhören und Ermittlungen, die sich gegen Korvettenkapitän Hamilton richteten, federführend sein mußte.
    Nach der Konferenz mit den Säpo-Leuten rief der Oberbefehlshaber erneut eine Sitzung ein, an der Sicherheitschef Borgström nicht teilnahm. Statt dessen wurde der Chef des Generalstabs dazugeholt. Borgström hatte Anweisung erhalten, mit den Vernehmungen Hamiltons gleich nach dem

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