Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
ich ihn, denn er war wieder verstummt, während sein Gesicht einige unschöne Erinnerungen widerspiegelte.
»Hast du keinen Schnaps mehr?«
»Nein.«
»Dann vergiss es. Wo war ich stehengeblieben?«
»Sie hatten gerade erzählt, wie Sie aus dem Gefängnis in die Freiheit gelangt sind.«
»Von Freiheit konnte kaum die Rede sein, Castor. Ich hatte bei Mel schon einmal die Auswurftaste gedrückt, und sie wollte irgendwie nicht zulassen, dass ich es ein zweites Mal tat. Oder vielleicht war es Fanke gewesen, der die ganze Geschichte inszeniert hatte, ich weiß es nicht. Jedenfalls so wie es lief, war es nicht so, als kriegte ich einen Straferlass. Eher hatten sie mich gepachtet, und Mel machte mir klar, dass sie mich jederzeit zurückschicken konnten, wenn ich mich nicht anständig benahm und jeden Abend vor dem Zubettgehen mein Gebet sprach.
Ich sagte bereits, dass sie etwas für Sklavenspiele übrighatte. Beim ersten Mal war sie die Sklavin gewesen. Doch jetzt war ich an der Reihe, und sie legte los und brachte das volle Programm. Wenn jemals ein Mann hatte Scheiße fressen müssen, dann war ich es.«
Ich wollte eine Zwischenfrage stellen, verkniff es mir jedoch lieber. Es war besser, einfach anzunehmen, dass er es nur metaphorisch gemeint hatte. Ich schaute auf die Uhr. Zwanzig Minuten waren verstrichen, seit ich Pen angerufen hatte. Ich rechnete mit mindestens weiteren zwanzig Minuten, bis Dylan aufkreuzen würde.
»Erzählen Sie mir von Abbie«, bat ich Peace. Allmählich hatte ich genug von den ausführlichen Berichten über sein Sexleben. Aber ich erkannte an seinem Gesichtsausdruck, dass er das Ganze nicht aus einem übersteigerten Sinn für Dramatik so ausführlich schilderte. Es gab offensichtlich in seiner Vergangenheit einen Ort, den er absolut nicht wieder aufsuchen wollte, und wir waren fast dort angekommen.
»Ich dachte, Mel sei nur eine Art seltsamer Lebensform, die sich von Sex und Schmerzen ernährt«, murmelte er. »Ich hätte niemals angenommen, dass sie irgendeinen Plan verfolgte, sondern dass ihr nur wichtig war, was gerade geschah. Aber ich hatte sie unterschätzt. Und zwar gewaltig.«
Peace machte einen weiteren zitternden Atemzug. Seine Stimme wurde schwächer, und seine Worte kamen mehr mühsam gehaucht als gesprochen über seine Lippen, was mir gar nicht gefallen wollte. »Fanke redete ständig von etwas, das er eine Opfer-Farm nannte«, fuhr er fort. »Es war eine Idee, die ihm während der Lektüre verschiedener mittelalterlicher Zauberbücher gekommen war. Er hatte jeweils die Übersetzungen gelesen, sich danach jedoch die Texte noch einmal in der Originalsprache vorgenommen – vorwiegend Latein und Hochdeutsch –, und wenn es etwas gab, das ihn ganz besonders interessierte, dann war es diese Opfer-Idee. Ich weiß das so genau, weil ich es mir jedes Mal anhören musste, wenn Mel ihn und ihre anderen verrückten Freunde bei sich zu Hause versammelte.
Wenn man einem Gott ein Opfer bringen will, sagte Fanke – egal welchem Gott –, dann muss das Opfer schon lange vorher ausgewählt und entsprechend behandelt werden. Es hat einen besonderen Status, und es lebt getrennt von den anderen. Bis der Zeitpunkt gekommen ist.
Immer wieder hat er davon gesprochen, aber ich hörte nicht zu. Ich habe einfach nicht zugehört.«
Irritierenderweise begann Peace zu weinen. Ich konnte seine Augen noch immer nicht sehen. Die einzelne Kerze warf tiefe Schatten, und der größte Teil seines Gesichts lag im Dunkeln. Aber eine Wange befand sich im Licht, und ich sah, wie die Tränen sich in einem Rinnsal einen Weg über die pockennarbige Haut suchten.
»Eines Nachts«, erzählte er nun, »meinte Mel, diesmal sei ich wieder an der Reihe, oben zu sein. Und diesmal sei es etwas ganz Besonderes. Denn dieses Mal würden wir ein Baby zeugen, und wir würden es auf eine völlig neue Art und Weise tun.
Sie benutzte sehr oft das Wort
grenzüberschreitend
. Wir würden eine Grenze überqueren und damit die Gesetze der Natur brechen. Diese Vorstellung erregte sie noch mehr, als Zuschauer es getan hätten, aber als ich von ihr wissen wollte, was wir genau tun würden, wurde sie richtig verlegen.
Begleitet wurde das Ganze von einer ganzen Menge anderem magischem Krimskrams und lauten Gesängen und Beschwörungen. Es wurde zunehmend lauter und intensiver und schwoll stetig an und schien zu keinem Ende zu kommen. Irgendwann schlaffte ich im wahrsten Sinne des Wortes ab und schlief beinahe ein, aber sie versetzte
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