Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
vollständig zu erkennen. Deshalb hatte ich die Sache gründlich vermasselt und Rafis Seele unlösbar mit dem Wesen des Dämons verbunden. Aber ich hatte seitdem einige hundert Mal für Rafi die Tin Whistle gespielt und den Dämon eingeschläfert, damit mein Freund sich für einige Stunden von der Hölle erholen konnte, die ich auf ihn herabbeschworen hatte. Daher kannte ich Asmodeus diesmal ganz gut. Ich spürte ihn in meinen Fingern, wusste, wie er in meinem Geist klang. Ich kannte seine Melodie.
Ich tastete mich an die Andeutung eines Rufs heran und spürte, wie der Dämon reagierte. Schwach – unendlich schwach –, aber unverwechselbar. Schnell änderte ich den Rhythmus und die Tonlage. Ich konnte den Kontakt nicht einfach abbrechen, aber ich konnte mich behutsam zurückziehen wie ein Angler, der die Spannung der Schnur verringert, damit der Fisch sich befreien und flüchten kann. Ich wollte Asmodeus nicht noch einmal in dieser engen Zelle gegenübertreten. Unter gar keinen Umständen. Aber ich wollte sichergehen, dass er zugegen war. Und obgleich die Masse seines monströsen Ichs in die kalten Steine der Saint Michael’s Church eingebettet war, krallte sich ein Zipfel von ihm noch immer an Rafael Ditkos Seele.
Ich hatte, was ich brauchte, und Rafi hatte sich nicht ein einziges Mal gerührt. Ich ließ die Melodie ausklingen und verstummen und erhob mich, wobei mich ein scharfer Schmerz in meinem Bein zusammenzucken ließ. Es fühlte sich an, als hätte ich dort eine Prellung erlitten – wahrscheinlich bei der Gelegenheit, als Gwillam und seine Werwölfe mich in den Lagerraum gestoßen hatten, während ich bewusstlos war.
In diesem Moment schlug Rafi die Augen auf. Für ein oder zwei Sekunden konnte er nichts erkennen – oder vielleicht schaute er auch an mir vorbei auf etwas aus seinen Träumen, das er immer noch sehen konnte. Dann zwinkerte er, als sich ein Schimmer des Erkennens bemerkbar machte.
»Fix«, murmelte er schwerfällig.
»Hallo, Rafi«, sagte ich.
»Das war verdammt unheimlich. Ich habe gerade mit dir geredet.«
»Hast du?«
»Muss ich wohl geträumt haben. Alles okay?«
»Alles bestens, Rafi.«
Er schloss die Augen wieder, und nach einer Sekunde verkündete eine Veränderung in der Art seines Atmens, dass er wieder eingeschlafen war.
»Danke, Paul«, sagte ich und wandte mich zu dem stämmigen Krankenpfleger um, der mir mit einer Art mürrischer Faszination zugeschaut hatte.
»War es das? Haben Sie, was Sie wollten?«
»Mehr oder weniger. Haben Sie ein Mobiltelefon bei sich?«
»Klar.«
»Darf ich das mal haben?«
»Sicher. Aber es ist ziemlicher Mist.«
Er griff mit einer großen Hand in die Tasche und holte einen zierlichen silbernen Apparat heraus, den er als Ohrring hätte tragen können. Ich nahm ihn entgegen und überprüfte den Ladezustand der Batterie, ehe ich ihn einsteckte.
»Und Ihr Feuerzeug«, bat ich.
Paul atmete übertrieben genug aus, um es als Seufzer zu werten. Aber er reichte mir das Feuerzeug ebenfalls.
Ich musterte ihn prüfend. »Soll ich Sie hier mit einschließen, damit Sie eher aussehen wie ein Opfer und weniger, als hätten Sie mitgespielt?«, fragte ich ihn.
Er winkte ab. »Ja, machen Sie nur«, sagte er. »Um ehrlich zu sein, ich denke schon länger daran, mir einen neuen Job zu suchen. Einen Job, wo ich mir nicht so viel Schwachsinn anhören muss. Kommen Sie gut raus, Castor.«
»Danke, Paul. Dafür bin ich Ihnen etwas schuldig.«
»Nicht nur dafür. Verraten Sie mir, wo Sie trinken, dann komme ich an irgendeinem Abend rüber, um zu kassieren.«
»Das Jerusalem in der Britton Street sieht mich ziemlich regelmäßig.«
»Okay. Dann treffen wir uns dort bei Gelegenheit.«
Ich ließ mich raus und dachte vorher daran, die Filmdose unter Rafis Bett zu deponieren, damit es so aussah, als hätte ich tatsächlich geliefert. Das Fatale am Lügen ist, dass es zur Gewohnheit werden kann wie alles andere.
Man muss nur daran denken, irgendwann damit aufzuhören.
21
Nachts mit halsbrecherischem Tempo auf einem Motorrad durch die Straßen einer belebten Stadt zu fahren ist deswegen so toll, weil es einen davon abhält, an irgendetwas anderes zu denken. Wenn man seinem Geist auch nur für eine Sekunde gestattet, einen kleinen Abstecher in andere Gefilde zu machen, macht man so gut wie sicher derart intim Bekanntschaft mit einer Mauer, dass einen nichts außer einem Spatel und einem Eimer wieder herunterholen kann.
Das konnte mich jedoch nicht
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