Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
Ich erhielt meine Antwort, als das Fenster halb rechts über mir geöffnet wurde und ein glänzender kahler Schädel herausschaute. Ein Paar wässriger brauner Augen starrte auf mich herab und brauchte einige Zeit, um sich auf mich einzustellen. Bis zur Hüfte – dankenswerterweise die Grenze, bis zu der mein Blick reichte – war Grambas nackt.
»Scheiße«, sagte er schwerfällig. »Es hört niemals auf. Kommen Sie gegen Mittag zurück, Castor.«
»Werfen Sie die Schlüssel herunter«, schlug ich vor. »Ich muss nur ein Paket aus dem Schuppen holen.«
Er seufzte tief, nickte und zog sich zurück. Die Schlüssel kamen einen kurzen Moment später durchs Fenster geflogen, und ich geriet beinahe unter die Räder eines Eiswagens, als ich ein paar Schritte rückwärts machte, um sie aufzufangen. Ich ging in die Gasse neben dem Laden und gelangte durch eine Tür, deren Scharniere nur noch durch Rost zusammengehalten wurden, in den Hinterhof. Der Schuppen besaß jedoch eine stahlverstärkte Tür und drei Vorhängeschlösser. Grambas kannte seine Nachbarn recht gut, und obgleich er ihnen ihre Laster verzieh, hielt er es nicht für notwendig, sie auch zu finanzieren. Ich öffnete die Vorhängeschlösser und ließ sie offen in ihren Ösen hängen.
Es geschieht völlig automatisch, dass ich die Qualität der Schlösser bewerte, mit denen ich in Berührung komme. Ich erlernte das Schlösserknacken von einem Meister, und obgleich auf dieser Welt mittlerweile elektronische, codierte und doppelt gesicherte Kombinationsschlösser an der Tagesordnung sind, bereiten mir die Durchschnittsschlösser von Durchschnittsmenschen keine Probleme.
Eines der drei Schlösser war ein Nachbau ohne Herstellernamen; das zweite war ein ehrwürdiges Squire, und das dritte war ein scharfes kleines Biest aus der Titanium-Serie von Master Lock. Nummer eins und zwei hätte ich jederzeit ohne Schlüssel aufgekriegt, aber für Nummer drei hätte ich deutlich länger gebraucht. Ich sage nicht, dass ich es nicht geschafft hätte, aber ich hätte einen verdammt guten Grund haben müssen, um es zu versuchen.
Im Innern des Schuppens herrschte eine fast krankhaft makellose Sauberkeit. Vor einer Wand waren Kartons akkurat bis zur Decke aufgestapelt. Auf der anderen Seite standen drei Tiefkühltruhen wie Särge in einer Reihe. Mein Paket lag in der Mitte auf dem Fußboden, beschriftet mit dem einzigen Wort CASTOR in dicken schwarzen Filzmarkerlettern. Das Paket war fast zwei Meter lang, dreißig Zentimeter breit und nur knapp drei Zentimeter dick. Ich hob es auf und borgte mir beim Hinausgehen Grambas’ Werkzeugkasten aus. Meiner enthielt drei Schraubenschlüssel und ein Knäuel Schnur, und ich habe ihn das letzte Mal 1998 gesehen. Ich ließ die Vorhängeschlösser hinter mir wieder zuschnappen und kehrte auf die Straße zurück.
Ich hatte ein neues Schild mit genau den gleichen Abmessungen wie das alte anfertigen lassen, daher war dies ein Job, den ich mit meinen dürftigen Do-it-yourself-Fähigkeiten bewältigen konnte. Ich konnte sogar dieselben Schrauben benutzen bis auf eine, die durchgerostet und daher abgebrochen war, als ich sie herausdrehen wollte. Trotz dieses geringfügigen Rückschlags und des Regens, der deutlich zunahm, während ich arbeitete, war F. CASTOR ERADIKATIONEN verschwunden und durch FELIX CASTOR SPIRITUELLER SERVICE ausgetauscht worden. Ich betrachtete das neue Schild mit einem gewissen Gefühl der Zufriedenheit. Es war eine Umschreibung, die ich einem Toten stahl, aber verdammt noch mal, er war bei dem Versuch, mich zu töten, ums Leben gekommen, und hatte mich gelegentlich sogar selbst bestohlen, daher würde ich mir deshalb keinerlei Vorwürfe machen. Der wesentliche Punkt war, dass ich damit nicht mehr gegen das Warenkennzeichnungsgesetz verstieß. Nun brauchte ich mich nur noch zurückzulehnen und darauf zu warten, dass die neuen Klienten sich die Türklinke in die Hand gaben.
Und darüber, was genau dieser spirituelle Service war, würde ich mir später den Kopf zerbrechen. Ich war überzeugt, es in dem Moment zu wissen, wenn es von mir verlangt würde.
Als ich Grambas’ Werkzeugkasten in den Hinterhof zurückbrachte, kam er gerade aus dem Schuppen, in jeder Hand einen Fünfliterkanister Frittieröl. Er blieb stehen, als er mich sah, und stellte die Behälter ab. »Ich habe noch etwas vergessen«, sagte er. »Sie haben einen Kunden. Eigentlich sind es zwei.«
Ich runzelte die Stirn. Das war etwas völlig Neues.
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