Feuerprinz
ein böses Vorzeichen.«
Lin stand auf, darum bemüht, ihre Dienerin zu beruhigen, was nur schwer möglich war. Vay huschte umher, sammelte ihre Kleider vom letzten Abend ein, richtete die Schafwolldecke auf ihrem Bett und war nicht zu beruhigen. Schließlich überließ Lin sie ihrer Aufregung mit dem Versprechen, ihr später zu berichten, was geschehen sei, und machte sich auf den Weg zum alten Opferplatz.
Die meisten Engilianer waren eben erst aufgewacht und schlenderten schlaftrunken zurück zu ihren Häusern. Ihren zufriedenen Gesichtern zufolge wussten sie noch nichts von den jüngsten Ereignissen. Lin bemühte sich um ein sorgloses Lächeln, wenn sie gegrüßt wurde. Vielleicht hielten Ilana und Tojar die Neuigkeiten geheim … doch warum? Was konnte geschehen sein? Etwas Schreckliches, so viel war klar, sonst wäre Vay nicht so aufgeregt gewesen.
Lin ging schneller. Der Morgen war kühl und das Gras des Hügels mit feuchtem Tau bedeckt. Ein viel zu friedlicher Morgen, um ihn mit schlechten Botschaften zu verderben. Überall lagen die welken Blumenkränze herum, welche die Frauen und Mädchen im Haar getragen hatten. Ihren eigenen Kranz hatte sie irgendwann im Gedränge verloren … sie war halt nicht für die Liebebestimmt. Lin meinte, noch den schweren und berauschenden Duft von körperlicher Liebe wahrnehmen zu können – aus dem Gras, hinter jedem Baum, in jedem Gebüsch. Würde auch sie irgendwann wieder lieben können? Sie schüttelte den Kopf und ging weiter.
Tatsächlich hatten Ilana und Tojar den Bereich um Muruks ehemaligen Tempel durch Wachtposten absperren lassen. Nur eine kleine Gruppe, bestehend aus Salas Priesterinnen, angeführt von Jevana, Ilana und Tojar, einigen ihrer engsten Berater und überraschenderweise Elven, stand um den Kreis herum.
Ilana kam ihr entgegen, als sie Lin entdeckte. Ihren Augen sah man an, dass sie kaum geschlafen hatte. Sie trug noch immer die bestickten Festgewänder vom Vorabend. Das Haar wirkte ungekämmt und stumpf. »Es ist schrecklich, Lin … aber die Engilianer sollen noch nichts davon erfahren. Was wir in Engil nicht brauchen, sind Angst und Panik. Zuerst müssen wir wissen, was wirklich geschehen ist.«
Lin hörte die Worte ihrer Mutter kaum. Aus den Augenwinkeln musterte sie Elven, der mit ernster Miene neben ihrem Vater stand, und Jevana, die stumm zu ihr herübersah. Die Gruppe trat für Lin beiseite, so dass sie mit eigenen Augen sehen konnte, wovon Vay gesprochen hatte. Sie musste sich die Hand vor den Mund halten, um nicht überrascht aufzuschreien. Eine eingetrocknete Blutpfütze befand sich nah neben dem siebten Opferstein. »Blut? Blut in Muruks Opferkreis? Von wem ist es?«
Ilana nickte in Richtung der Getreidespeicher, die sich hinter den Ruinen des Tempels befanden. Sie wurden nicht mehr benutzt, doch noch immer lagerte verdorbenes Getreide darin. »Wir haben den Kadaver eines Falbrindes gefunden … in einem der Getreidesilos.«
Lin atmete aus, auch wenn sie sich fragte, wie ein Falbrind in ein Silo gelangen konnte. Jedoch überwog ihre Erleichterung. Ein Falbrind … kein Mensch!
»Lin …«, wandte Ilana ein. »Das hier ist viel zu wenig Blut für ein ganzes Falbrind; und auch der Kadaver im Speicher ist blutleer!« Ihre Mutter zitterte am ganzen Körper, auch wenn sie es zu verbergen versuchte. Ilana hatte die Zeit des Blutgottes noch miterlebt, seine Opfer, seine Grausamkeiten. Sie wusste, wovon sie sprach.
»Mutter … meinst du, dass der dunkle Gott …«
Schnell schüttelte Ilana den Kopf und machte eine wegwischende Bewegung mit der Hand; die Geste sollte böse Geister vertreiben. »Wir dürfen nicht Dinge heraufbeschwören, die nicht ausgesprochen werden sollten.«
Lin bückte sich. Eine im Sand eingetrocknete Blutpfütze von der Größe einer Speiseplatte, ein paar Spritzer, sonst nichts. Ein Falbrind hatte sehr viel mehr Blut in seinem Körper. Wo also war das restliche Blut geblieben? Aber da war noch etwas anderes. Langgezogene Rillen im Boden, die vom Blutkreis wegführten. Lin spreizte ihre Finger und legte sie in die Furchen. »Das sind die Spuren von Fingern … Frauenhänden, der Größe nach zu urteilen!«, stellte sie entsetzt fest. »Die Frau wurde aus dem Opferkreis gezerrt …«
Ilana bückte sich neben sie und flüsterte: »Nein … sie wurde hineingezerrt. Die Spuren beginnen dort hinten.« Sie wies auf einen Punkt außerhalb des Kreises. »Sie wollte fliehen, doch etwas hat sie gepackt und in den Opferkreis
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