Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Heimatwelt wurden einem viele Schwächen und Unzulänglichkeiten verziehen. Kein Geld zu haben, gehörte aber leider nicht dazu.
Während der Zugfahrt mit der Regionalbahn nach München schaute Maria neugierig aus dem Fenster. Ihrem Gesichtsausdruck entnahm Gerald, dass sie der Anblick der Landschaft nicht sonderlich begeisterte.
„Der Eindruck täuscht“, sagte er. „Von hier aus ist man in einer halben Stunde in den Bergen, da ist es sehr schön!“
„Fahren wir jetzt in die Berge?“
„Nein. Wir steigen in München um und nehmen eine U-Bahn zu mir nach Hause. Und damit du seelisch vorbereitet bist: Das Viertel ist eher hässlich, das Haus, in dem wir wohnen, ist mindestens genauso hässlich und die Wohnung selbst … na ja, wenn sie aufgeräumt ist, kann man es da aushalten. Aber wahrscheinlich erwartet uns das Chaos.“
Diese Äußerung trug nicht dazu bei, Marias Miene aufzuhellen. Sie sah ein wenig schockiert aus, doch bemühte sich sichtlich, kein langes Gesicht zu ziehen.
„Ich bin trotzdem ganz gerne da“, sagte Gerald. „Schließlich bin ich da geboren. Und ich muss mein Leben nicht dort verbringen. Für jemanden wie dich ist es eher gewöhnungsbedürftig, denke ich. Aber keine Sorge, ich zeige dir auch ein paar schöne Orte in München. Lulu hat Ferien, die freut sich bestimmt, wenn wir was unternehmen. In die Berge können wir auch mal fahren, wenn wir das Geld dafür zusammenkratzen können.“
Maria nickte dankbar.
„In meiner Spiegelwelt habe ich ein Buch gefunden“, erzählte sie, „das hieß Augsburg. Ich habe es immer wieder gelesen, weil es von der Erde handelt. Ich weiß, was Züge sind und Fernseher und Kassettenrekorder. Aber irgendwie habe ich mir das alles ganz anders vorgestellt!“
„Kassettenrekorder?“ Gerald lachte ungläubig. „Das Buch muss mindestens dreißig Jahre alt sein!“
„Das war mir nicht klar.“
„Wie kommt so ein Buch in deine Welt?“
Maria zuckte mit den Achseln.
„Keine Ahnung.“
Sie schaute wieder aus dem Fenster und Gerald beobachtete ihr Staunen. Dabei wunderte er sich einmal mehr darüber, wie seltsam doch sein Leben verlaufen war. Eine Kindheit in zwei Welten hatte ihn innerlich in zwei Teile geteilt und er wusste, sein Leben konnte nie ganz werden. Er würde immer hin- und herspringen zwischen zwei Wirklichkeiten und zwei Familien. Doch solange er das konnte, solange ihm niemand eine der beiden Welten wegnahm, war er damit glücklich.
„Wie kommt es“, begann Maria, „dass dein Vater in Amuylett so reich ist, aber du hier dein Geld zusammenkratzen musst? Hat dein Vater nie versucht, irgendwas Wertvolles aus Amuylett mitzubringen und es hier zu verkaufen?“
„Natürlich hat er das. Irgendwann hat er es aufgegeben, denn es hat ihm nur Unglück gebracht. Die Welten wehren sich dagegen, sie wollen einfach nicht miteinander vermischt werden. Alles, was mein Vater mitgebracht und aus der Hand gegeben hat, war wie verflucht. Er hatte große Mühe, den Schmuck, den er verkauft hatte, zurückzubekommen und wieder nach Amuylett zu bringen. Die Verkäufe haben nicht nur ihm Unglück gebracht, sondern auch den Leuten, die ihm die Sachen abgekauft haben. Es sagt, es war unheimlich und so kriminell, dass er es nie wieder tun wird. Deswegen darf ich auch die Instrumente, die ich hier am Leib trage, auf keinen Fall verlieren. Sie dürfen mir auch nicht geklaut werden. Normalerweise, wenn ich weiß, dass ich hierherkomme, ziehe ich sie aus und lasse sie in Amuylett.“
Maria fasste sich unwillkürlich an ihre Haarspangen.
„Ja, die solltest du auch nicht verlieren! Aber bei so kleinen Dingen ist es noch nicht so schlimm.“
„Glaubst du, Scarlett könnte hierherkommen?“
„Ich sollte es nicht ausprobieren. Vielleicht geht es, aber es könnte auch katastrophal enden. Du weißt ja, dass wir in Amuylett nur überleben können, indem wir diese Talente ausbilden, die die Magikalie der fremden Welt neutralisieren. Beim fünften Erdenkind wird es schon problematisch, das sechste Erdenkind würde an der Magikalie sterben. So stand es in den Lilienpapieren, erinnerst du dich?“
„Ja, natürlich. Viego hat uns davon erzählt. Deswegen kannst du deine Schwester nicht nach Amuylett mitbringen.“
„Zum Glück weiß ich das jetzt! Ich hatte schon ein paar Mal mit dem Gedanken gespielt. Wenn ich nur daran denke, dass ich sie damit umgebracht hätte, wird mir schlecht vor Angst. Wir wissen nicht, was hier mit den Menschen aus Amuylett
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