Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Kaiserin des letzten Kinyptischen Reiches behandelt zu werden, vor allem, wenn ihr jemand dabei zusah. Der General verbeugte sich noch einmal und verließ den Raum, wie er ihn betreten hatte – durch eine seitliche Tür, die sich in der Tapete verbarg.
„Der Mann sieht ja blühend aus!“, rief Lisandra. „In Sumpfloch spukt er herum wie das letzte Elend!“
„Ja, das ist interessant“, stellte Haul fest, der sich naturgemäß mit Gespenstern auskannte. „Als könnte er sich in dieser Welt neu erschaffen. So etwas habe ich noch nie gesehen!“
„Er lebt in der Vergangenheit“, erklärte Maria. „Er glaubt, wir befinden uns in den letzten Jahren des letzten Kinyptischen Reiches.“
„Warum?“, fragte Haul und stellte damit die naheliegendste und einfachste Frage.
„Wenn ich das wüsste“, antwortete Maria. „Dieses Schloss ähnelt dem der letzten Kaiserin und sie war auch ein Erdenkind, hat Grohann gesagt. Mehr Gemeinsamkeiten gibt es nicht.“
Sie fuhren herum, denn sie hörten eine dumpfe Stimme, die sich anhörte, als käme sie aus einem soliden Eichenschrank.
„Hey, seid ihr da drinnen? Hört ihr uns?“
„Das muss Berry sein“, sagte Maria erstaunt. „So hat sie mir früher immer Bescheid gegeben, wenn ich zu lange hier war und gelesen habe. Leider funktioniert das Rufen nur in eine Richtung.“
Maria steckte ihren Kopf durch den Spiegel.
„Kommt rein, es ist alles gut!“
Berry, Scarlett und Thuna kamen nacheinander durch den Spiegel geklettert und schauten sich neugierig um.
„Ihr habt es ja nett hier!“, sagte Berry. „Und wir dachten, ihr müsstet eine gefährliche Schlacht bestehen.“
Bevor jemand Berry erklären konnte, dass die gefährliche Schlacht in einem anderen Teil des Schlosses stattgefunden hatte, ging die Flügeltür auf und brachte alle Anwesenden zum Verstummen. Denn Grohann und Hanns führten in ihrer Mitte einen großen Tiger-Mann in eisernen Fesseln herein. Selbst gefangen, geschwächt und ausgezehrt sah dieser Mann sehr gefährlich aus. Der Blick des Tigers schweifte erst unstet hin und her, dann blieb er an Maria hängen. Sein Blick war unangenehm.
Maria trat einen Schritt zurück, doch sie musste am Spiegel bleiben, damit Hanns und Grohann ihren Gefangenen abführen konnten. Sie hielt eine Hand in den Spiegel, im größtmöglichen Abstand von den beiden, und zuckte zusammen, als sie der Tiger anfauchte. Mit aufgerissenem Maul, die scharfen Zähne gebleckt, und einem Atem, der auch unempfindlichere Naturen halb betäubt hätte, schickte er ihr eine Nachricht, die jeder verstand, der sie sah:
„Wart’s ab!“, drohte dieses Fauchen. „Eines Tages wird es umgekehrt sein! Du entkommst mir nicht!“
Maria starrte den Tiger unbewegt an, bis er verschwand. Sie sah schockiert aus und verwirrt.
„Warum hasst er mich so?“, fragte sie in den leeren Spiegel hinein. „Warum ausgerechnet mich?“
„Es war deine Welt, die ihn so geschwächt hat“, sagte Gerald. „Du hast es nicht gesehen. Dieser Hof, in dem sie gehaust haben, war grauenvoll.“
„Aber das habe ich mir nicht ausgedacht. Solche Orte habe ich nicht in meinem Kopf.“
„Aus wessen Kopf stammen sie dann?“, fragte Berry.
Maria zuckte mit den Achseln. Sie wusste es nicht.
Es war Mittagszeit und Lisandras Botschaft „Ich habe Hunger“ war nicht nur der Langeweile entsprungen. Sie verließen daher die Spiegelwelt und machten sich auf den Weg in die Küche. Scarlett nutzte die Gelegenheit, Geralds Arm zu ergreifen und ihren betrübten Kopf an seine Schulter zu schmiegen.
„Ich bin eine Versagerin“, stöhnte sie. „Ich kann mich einfach nicht verwandeln. Viego ist auch ratlos. Wir haben es wieder den ganzen Morgen lang probiert, ohne auch nur den kleinsten Fortschritt zu machen.“
Gerald blieb stehen, um Scarlett mit beiden Händen über die zerzausten, gerauften und wilden schwarzen Haare zu streicheln und ihr Mut zuzusprechen.
„Ihr werdet das noch hinbekommen! Vielleicht hast du einen zweiten wunden Punkt, von dem du noch nichts weißt?“
„Oh, das wäre ja toll“, sagte Scarlett sarkastisch. „Das hätte mir gerade noch gefehlt!“
Gerald lachte.
„Okay, die Erklärung war nicht so gut. Dann ist es eben … ein Fehler in deinen schlechten Vorsätzen.“
„Nein, nein, nein!“, widersprach Scarlett. „Ich bin gut darin, böse Wünsche zu haben. Dir und allen anderen ist wohl nicht klar, wie garstig mein Innenleben ist! Es ist etwas anderes. Mir fehlt die
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