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Feuerschwingen

Feuerschwingen

Titel: Feuerschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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schüttelte sie den Kopf, als hoffte sie, die wirren Erinnerungen fügten sich endlich zu einem Bild zusammen. Puzzles jedoch verlangten Geduld und ließen sich am besten in Ruhe legen. Sie wollte später darüber nachdenken.
    Eine Frage brannte ihr nun jedoch auf der Seele: »Gehörst du etwa zu den Gerechten?«
    Erstaunt zog Lucian eine Augenbraue hoch, was seinem beinahe schon vollkommenen Gesicht etwas Verwegenes gab. »Wie kommst du denn darauf?« Wider Erwarten fuhr er fort: »Ich möchte fast sagen: im Gegenteil . Mit Micaal verbindet mich nichts weiter als eine herzliche Abneigung. Dass er vorerst keine der Gefallenen mehr jagen kann, ist eine der besten Nachrichten der letzten Jahre. Auch wenn ich nicht glaube, dass er sich lange an sein Gelübde halten wird. Er war schon immer ein trügerischer Bastard.«
    Erschrocken sah sich Mila um, als erwartete sie, ein Blitz müsste herniederfahren, um ihn für seine lästerlichen Worte zu bestrafen. Selbstverständlich geschah nichts dergleichen. Sie war geneigt, ihm zuzustimmen, allerdings auch ziemlich überrascht.
    Doch woher hätte sie diese freudigen Botschaften auch bekommen sollen? Gabriel, wäre er da gewesen, hätte sie jede Information sprichwörtlich aus der Nase ziehen müssen. Lucian und seine himmlischen Freunde waren zwar mitteilsamer, aber seit langer Zeit die Ersten ihrer Art, die sie traf. Jedenfalls soweit sie es wusste, denn offensichtlich hatte sie nach Gabriels Betreuung vorübergehend die Fähigkeit verloren, ihresgleichen zu erkennen. Ein beunruhigender Gedanke. Gern hätte sie noch mehr erfahren, aber er sprach schon weiter.
    »Erinnerst du dich an den Abend kurz nach unserer Begegnung? Du warst allein im Cottage. Ich wollte mit dir reden, war gerade dabei, ans Fenster zu klopfen, da hast du das Feuer im Kamin entzündet.«
    »Oh, das!«
    Murphys Law , dachte sie verbittert. Immer geht schief, was schiefgehen kann. Wer hätte denn damit rechnen könne, dass in dieser einsamen Gegend ausgerechnet in dem Moment jemand durchs Fenster sah, in dem sie ihr magisches Feuer zum Kaminanzünden missbrauchte?
    Doch da lag eine Ernsthaftigkeit in seiner Stimme, die sie verunsicherte.
    »Was weißt du noch?«, fragte sie schärfer als beabsichtigt.
    Er schien es ihr nicht übelzunehmen. »Dass du uns sehen kannst und über einige sehr erstaunliche Fähigkeiten verfügst, wie Arian mir berichtet hat.«
    »Hat er?«
    »Selbstverständlich. Wir arbeiten miteinander.«
    »Darauf kommt man aber nicht, wenn man euch zusammen sieht.«
    Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Stimmt, er steht auf die falsche Flügelfarbe.«
    »Und du?«
    Plötzlich waren sie da. Seine unbeschreiblichen Schwingen, nur zur Hälfte ausgebreitet und doch das Vortrefflichste und Erhabenste, was sie jemals gesehen hatte. Glatt und glänzend lag eine Feder dicht neben der anderen. Was sie hier betrachtete, war ein Wunder der Schöpfung, keine Frage.
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, lehnte sich Mila vor, um sie nur einmal mit den Fingerspitzen zu befühlen, über die einzigartige Textur zu streichen, die dunklen Schwungfedern zu berühren. Als sie bemerkte, was sie da tat, zuckte sie zurück.
    »Entschuldige! Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.« Engelsflügel ungefragt anzufassen, war ein Tabu, und sie wusste es.
    Doch Lucian schien sie nicht gehört zu haben. Ganz still saß er ihr gegenüber. Mit geradem Rücken, regungslos. Etwa so, wie sie sich verhalten würde, flöge ein kleiner Vogel im Überschwang frühlingshafter Gefühle auf ihren ausgestreckten Finger. Staunend und voller Verwunderung über ein solches Vertrauen, das dieses winzige Geschöpf einem um so vieles größeren und mächtigeren Wesen schenkte.
    Schneller noch, als er die Flügel hatte sehen lassen, waren sie wieder verschwunden. Nicht etwa zusammengefaltet hinter seinem Rücken verborgen, wie sie es schon bei anderen Engeln gesehen hatte. Einfach fort, als wären sie niemals da gewesen. Und die Welt um sie herum, die einen magischen Moment lang stehen geblieben war, drehte sich weiter, als wäre nicht soeben ein Wunder geschehen.
    Scheinbar konzentriert, als verlangte die schlichte Handlung seine gesamte Aufmerksamkeit, goss er sich Wein nach. Trank einen Schluck, holte tief Luft und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Das Glas hielt er am dünnen Stiel, drehte es, nahm einen weiteren Schluck und stellte es schließlich zurück auf den Tisch. »Das ist Wahnsinn«, sagte er eher zu sich selbst

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