Feuerschwingen
vertrauen konnte. Zugegeben, ihr Wunsch nach Nähe, nach einem Anker im Leben spielte ganz gewiss eine große Rolle bei jeder Entscheidung, die sie traf. Aber wenn sie für ein paar Minuten alles vergaß, was mit ihren eigenen Träumen und Sehnsüchten zu tun hatte, dann blieb da immer noch dieser einzigartige Zauber, dem sie sich zu gern ergeben hätte.
Gabriels Warnung hing dabei wie ein Damoklesschwert über ihr. Was, wenn eine gemeinsame Nacht selbst jemandem wie Lucian schadete? Ihr Engelsfeuer hatte ihn nicht sonderlich beeindruckt, aber wäre er auch gegen die unbekannte Gefahr, die in ihrem Inneren lauerte, immun? Nein, das kann ich nicht riskieren.
Ein Handy klingelte. Er zog es hervor, warf einen flüchtigen Blick auf die Nachricht und steckte es zurück.
»Wieso funktioniert eigentlich dein Telefon hier? Wir haben keinen Empfang.«
»Das muss am Provider liegen.«
»Meinst du? Den hätte ich auch gern.«
»Nein, hättest du nicht«, sagte er beinahe grimmig und wechselte abrupt das Thema. »Es ist spät, möchtest du dich ausruhen?«
Wahrscheinlich hatte er recht. Ein Dunkler Engel wusste wohl am besten, welche Kräfte da am Werk waren. Ich sollte auf ihn hören , dachte Mila. Ihr Körper setzte alles daran, so schnell wie möglich zu heilen. Die Verletzungen waren keine Lappalie.
»Gute Idee«, sagte sie schließlich und wollte zum Haus gehen. Beim ersten Schritt gab ihr Bein nach, und erschrocken gab sie einen jämmerlichen Laut von sich. »Ach, verdammt! Warum tut das denn immer noch so weh?«
Sofort hielt Lucian sie fest, bis der Schmerz langsam nachließ. »Komm, ich bringe dich hinein.«
»Ich schaffe das schon.« Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte sie es noch einmal und konnte immerhin zwei Schritte machen.
Dann allerdings hatte er sie geschnappt und auf den Arm genommen, als wäre sie ein hilfloses kleines Mädchen. »Ich habe dir das eingebrockt, also erlaube mir, dir zu helfen!«
Im Nu fand sie sich auf der Empore wieder, wo Lucian sie behutsam in ihrem Bett absetzte. Als sich Mila bedanken wollte, legte er ihr einen Finger an die Lippen. »Still! Ich will nichts davon hören!«
12
»Komm her!«
Der Dämon gehorchte, obwohl er alles andere als glücklich darüber war, wie sein Chef mit ihm umsprang.
Er verfügte über ein erstaunliches Maß an Freiheit und konnte sogar die gut bewachten Tore zwischen den Welten unbemerkt passieren. Der Erzdämon dagegen, dem er für neunundneunzig Jahre Gehorsam geschworen hatte, saß in einem Gefängnis der Unterwelt ein und verstand es dennoch, seine Sklaven zu demütigen und zu quälen. Beim letzten Besuch hatte er ihm die Uhr gestohlen und ihn dabei so schwer verletzt, dass es Tage gedauert hatte, bevor er wieder schmerzfrei seinen rechten Arm benutzen konnte.
»Warum habt Ihr mich gerufen?«, fragte er, und es gelang ihm nicht vollständig, seinen Ton dabei unterwürfig zu halten.
Der Gefangene lachte nur. »Haben wir es hier mit einem kleinen Aufstand zu tun?«
Heller Schmerz fuhr ihm durch die Eingeweide, und voller Entsetzen sah er die Glassplitter aus seinem Bauch ragen. »Herr!«, flehte er. »Was habe ich Euch getan?«
»Nichts. Mir war danach. Und jetzt lass uns zum Geschäftlichen kommen. Du wirst Kandidat B ausschalten und einen neuen rekrutieren. Den Namen erfährst du noch.«
»Warum …«, wollte er fragen, da übermannte ihn erneut der Schmerz. »Ahh! Zur Hölle, nein. Ich wollte doch nur …«
»Tu, was ich dir sage! Und jetzt geh mir aus den Augen, ich kann dein Gewinsel nicht ertragen.«
Hastig zog sich der Dämon zurück und wähnte sich längst in Sicherheit, da sagte eine Stimme in seinem Kopf: »Sieh zu, dass du die Schlampe in den Griff bekommst. Sie liefert zwar ordentlich ab, aber wenn sie so weitermacht, gefährdet sie unsere Mission.«
Dieser Meinung war er allerdings auch. Doch anstelle einer Antwort floh er so schnell wie möglich aus der Unterwelt und machte erst wieder Halt, als er die vermeintliche Sicherheit seines Zimmers in einem Brüsseler Fünf-Sterne-Hotel erreicht hatte.
Es war schon spät in der Nacht, als es ihm endlich gelang, den letzten Glassplitter aus seiner Bauchdecke zu entfernen. Er raffte das blutgetränkte Verbandsmaterial zusammen und stopfte es in einen dunklen Müllbeutel.
Morgen , tröstete er sich, geht es dir besser . Morgen würde er einen Mord begehen.
N achdem Mila eingeschlafen war, hatte Lucian der Versuchung nicht widerstehen können, sie eingehend zu betrachten.
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