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Feuersuende

Feuersuende

Titel: Feuersuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Silver
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Das Wasser rauschte in die Kabine und verschluckte die Luftblase im selben Augenblick. Lokan versuchte, die Frau in Richtung des nun frei gewordenen Fluchtwegs zu bugsieren, dochdie klammerte sich weiter fest und starrte dabei angstvoll auf die Kinder.
    Da nahm Lokan das kleinere der beiden Mädchen und drückte es dem Mann in die Arme. Der warf seiner Frau einen verzweifelten Blick zu, dann schwamm er mit der Kleinen hinaus und strebte der Oberfläche entgegen. Inzwischen schnappte sich Lokan das zweite Mädchen, dann die Frau, nahm beide am Kragen und zerrte sie durch das zertrümmerte Fenster. Mit den beiden im Schlepptau schwamm er nach oben. Kein leichtes Unterfangen, denn seine Kleidung, die Schuhe und die Ledertasche, die er um die Schulter trug, behinderten ihn in der Bewegung.
    Oben angekommen, hievte er die Frau und das Mädchen über den Rand des Eislochs und stellte fest, dass mittlerweile Leute eingetroffen waren, die Decken mitbrachten und helfen wollten. Einige von ihnen nahmen sich sofort des Mädchens an, während andere die Frau in Decken wickelten und wiederum andere Lokan die Hand reichten, um ihn aus dem Wasser zu ziehen.
    Die beiden Männer, denen er seinen Mantel abgetreten hatte, waren nirgendwo mehr zu sehen, aber der Mantel war noch da. Darin eingehüllt saß der Junge, den Lokan zuvor geborgen hatte, am Rand des Lochs und starrte Lokan mit Furcht in den Augen an, indem er alles Zureden der anderen ignorierte. Er wartete. Lokan war klar, dass er sich nicht vom Fleck bewegen ließ, bevor er seine Brüder lebendig an die Oberfläche gebracht hatte. Genauso wie er hatte Lokan einst am Ufer jenes Sees verharrt und gewartet.
    Trotz seiner übernatürlichen Kräfte überkam Lokan in diesem Moment das Gefühl von Unzulänglichkeit, fast Hilflosigkeit. Die Fähigkeiten, die ihn auszeichneten, waren darauf gerichtet, Leben zu zerstören, nicht sie zu retten.
    So tauchte er ein weiteres Mal in die Tiefe, um nach den vermissten Kindern zu suchen. Seine Lungen schmerzten, als wollte es sie zerreißen. Zwar konnte er nicht den Tod durch Ertrinken finden, aber die Qualen und Schmerzen, die normalerweise damit verbunden waren, litt er trotzdem.
    Und dann hatte er sie entdeckt. Fast am Ende des zerborstenen Zweite-Klasse-Waggons lagen die beiden kleinen Körper, dunkelhaarig und schmächtig wie ihr Bruder. Sie hatten die Augen offen, die in einem hellen Blau in der Dunkelheit strahlten. Aber sie waren nicht mehr am Leben. Sie konnten nicht mehr am Leben sein. Zu lange lagen sie schon hier.
    Seit zweihundert Jahren verschüttete Gefühle stiegen in Lokan auf. Er hatte gedacht, dass er sich sein früheres Versagen verziehen hatte. Aber da hatte er sich getäuscht. Da war er wieder, dieser Selbsthass. Vielleicht war das ja der Grund dafür, dass er sich überhaupt auf dieses Rettungsmanöver eingelassen hatte – als eine Art Sühne.
    Er packte die beiden Jungen am Kragen und zog sie mit sich nach oben. Dort angekommen, wuchtete er sie aus den eisigen Fluten und schob sie nacheinander aufs Eis.
    Es herrschte eine unbeschreibliche Aufregung, als sie auftauchten. Leute kamen angerannt, um ihnen zu helfen, und mitten darin saß der Junge, der immer noch Lokans Mantel um die Schultern trug, auf dem Eis. Er wandte sich zu ihm und sah ihn an. Lokan sah zwei Mal hin. Er hätte schwören können, dass die Augen des Kindes vorhin blau gewesen waren. Jetzt waren sie braun, dunkelbraun, fast schwarz.
    Schließlich stieg Lokan selbst aus dem Eiswasser, das in Bächen an ihm herunterlief. Er wollte irgendetwas sagen, aber er wusste nicht, was. Als Richard damals ertrunken war, hatten auch keine Worte geholfen.
    Etliche irrten planlos umher, aber mittlerweile waren auch besonnenere Kräfte eingetroffen, die gezielt und methodisch die wenigen Überlebenden der Katastrophe versorgten, die entweder durchnässt und kurz vorm Erfrieren oder rußgeschwärzt knapp dem Feuertod entronnen waren.
    Lokan wollte die beiden Kinder, die er zuletzt herausgefischt hatte, jetzt seinen Artgenossen überlassen. Für ihn blieb hier nichts mehr zu tun. Seine Aufgabe war es, Seelen zu ernten, nicht, sie wiederherzustellen. Er wandte sich ab und ging zurückzur Brücke und den Trümmern des Zugs. Ein Waggon brannte noch, ein anderer lag auf der Uferböschung auf der Seite. Er ärgerte sich über sich selbst. Seine Wut trieb ihn an, sodass er im Stakkato ausschritt. Er konnte sich nicht erklären, warum er das gerade alles getan hatte.
    Aber

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