Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
Minuten und schaffst es nicht.
Warum machst du das überhaupt, was hat es für einen Sinn, Tiziana? Tust du es für dich oder für ihn? Und wenn du es ihm zuliebe machst, tust du es dann aus Mitgefühl oder weil du etwas für ihn empfindest? Und wie soll es nach diesem Selbstversuch weitergehen, wirst du ihn anrufen? Okay, du hast seine Handynummer gar nicht, aber was wäre wenn? Was würdest du tun? Und was hättet ihr gestern Abend getan, wenn Raffaella nicht nach Hause gekommen wäre?
Schluss jetzt, denk einfach nicht mehr daran. Bandagier dir endlich die Hand, es ist schon spät. Mach den Verband ganz fest.
WIE DIE FERNFAHRER
Heute Abend könnt ich mit einer Nutte gehen.
Auf der Hauptstraße gibt’s ’ne Menge von denen. Kaum hast du den Ort hinter dir gelassen, ist am Straßenrand dermaßen viel Betrieb, als wären Bauarbeiten im Gange.
Schon oft hab ich mir im Vorbeifahren gedacht, ich tu’s, ich geh mit einer Nutte, vor allem nachdem Giuliano es mal gemacht und mir nachher gesagt hat Da geht’s ab, Fiorenzo, da geht’s ab . Aber bisher hab ich’s noch nicht getan, vielleicht ist heute Abend der richtige Zeitpunkt dafür. Wenn dann mit Tiziana was laufen sollte, bin ich wenigstens nicht völlig unbedarft.
Es ist vier Uhr, und die Sonne steht noch hoch am Himmel. Aber wenn ich jetzt mit dem Roller hinfahre, sind bestimmt auch schon eine Menge Nutten da, und das wundert mich echt. Ich meine, man stellt sie sich nachts unter einer Laterne vor, stattdessen sind sie rund um die Uhr und das ganze Jahr über da … Folglich haben sie Kundschaft.
Aber wer kommt eigentlich auf die Idee, im Januar um neun Uhr früh zu einer Nutte zu gehen? Oder in der brütenden Mittagshitze im August? Fernfahrer vielleicht, denn bei krassen, heftigen Sachen denkt man gleich an Fernfahrer. Beim Anblick der Duschen in den Autobahnraststätten zum Beispiel, da fragst du dich, wer um Gottes willen wird sich denn hier duschen wollen, und die Antwort lautet immer: Fernfahrer, Fernfahrer, Fernfahrer.
Ich bin aber kein Fernfahrer, kann ich dann überhaupt mit einer Nutte gehen? Keine Ahnung, wahrscheinlich nicht. Ich schäme mich einfach zu sehr, und außerdem habe ich Angst, dass es zu den Dingen gehört, mit denen man nicht mehr aufhören kann, wenn man erst mal damit angefangen hat, und die einen zugrunde richten.
Nein, ich bleibe lieber im Laden und geh die Stücke noch mal durch, denn heute Abend um sechs treffen wir uns bei Stefanino. Nach diesem verkackten Festival spielt Metal Devastation endlich mal wieder.
Normalerweise üben wir um neun, aber Antonio hat gesagt, dass er was vorhat, also ist sechs auch okay. Hauptsache, wir hauen ordentlich rein, damit ich endlich das Schreckgespenst loswerde, das mir immer noch im Kopf rumspukt und aus tausend Kehlen ruft RA-AUS, RA-AUS. Das war letzten Samstag, und heute ist Sonntag, also ist eine Woche vergangen, und wir müssen die Sache endlich abhaken und nach vorn blicken. Heute spielen wir wieder, heute will ich an nichts Unangenehmes denken.
Was mir gar nicht mal schwerfällt, denn seit ich aufgewacht bin, kann ich kaum an was anderes denken als an Tiziana.
Ja, schon klar, dass dieser Satz fürchterlich schnulzig klingt, ich finde mich dabei selber zum Kotzen, und ich schäme mich, dass ich nach all den Platten und Liedern, die die Dinge beim Namen nennen, trotzdem wie ein Depp drauf reinfalle. Seit Jahren sagen meine Idole, wir seien Zu schnell für die Liebe und Liebe ist was für Idioten , trotzdem denk ich an sie und daran, dass sie heute, wenn sie nicht nur so dahergeredet hat, den Sonntag mit nur einer Hand verbringt.
Ich könnte sie anrufen und mich erkundigen, wie es ihr geht, nur dass ich ihre Nummer gar nicht habe. Hab sie auch nicht danach gefragt. Weil ich bescheuert bin. Vielleicht setze ich mich deshalb auf die Pritsche und fange an, den neuen Aufsatz des kleinen Champions zu lesen: Dann weiß ich wenigstens wieder, dass es jemanden gibt, der noch bescheuerter ist als ich.
Das Blatt hab ich heute früh gefunden, er hatte es unter dem Rollgitter durchgeschoben. Wie soll ich dem Trottel nur erklären, dass mich seine Aufsätze nicht interessieren? Ich sag’s ihm jedes Mal, aber er bringt mir jedes Mal neue, und jedes Mal lese ich sie. Damit schließt sich der Kreis.
Mirko Colonna
Klasse 3b (Lehrerin: Tecla Pudda)
7. Mai 2010
Thema: Petrarcas wunderbares Sonett »Die Nachtigall dort, die so zärtlich weinet« ist ein Meisterwerk von großer Aktualität.
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