Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
gefahren sind.
Sein Vater gehörte auch zu dieser Sorte. Er hieß Arturo, war Lkw-Fahrer und stotterte, weshalb sich alle über ihn lustig machten und ihn »Maschinengewehr« nannten. Er war so schüchtern, dass er den Leuten nicht mal ins Gesicht sehen konnte, und wenn sie ihn verarschten, wehrte er sich nicht. Bei seinem Gestotter hätte er dafür eine halbe Stunde gebraucht, und dann hätte man ihn noch mehr gehänselt. So lief er tagsüber mit hängendem Kopf herum, fraß allen Groll in sich hinein und konnte es gar nicht erwarten, am Abend endlich zu Hause bei seinen Lieben zu sein und seinen Frust an ihnen auszulassen.
Einmal, als Achtjähriger, wartete Roberto in Livorno auf den Start eines Radrennens in der Altersklasse der Jüngsten. An diesem Tag war ein Fotograf der »Nazione« dabei, der sich auf ihn eingeschossen hatte und ihn pausenlos fotografierte. Roberto war mächtig stolz, er umklammerte den Lenker, ging in Pose und blickte mit entschlossener Miene geradeaus. Als sich der Fotograf mit der Kamera vorbeugte, um ihn von unten aufzunehmen, drehte Roberto mal eben den Kopf zur Seite, um zu sehen, ob er immer noch fotografiert wurde. Tatsächlich, der Fotograf war noch mit ihm beschäftigt. Und dann plötzlich … traf ihn ein Schlag ins Genick, dass er vom Rad fiel und im Sturz zwei andere Kinder mitriss. Er schaute hoch und sah vor dem Hintergrund des Himmels seinen Vater, der ihn anfuhr W-w-was zum Teu-teu-fel machst du da-da, Idiot! K-k-konzen-tr-ntr-nnn, konze-ze-nnn … wo bl-l-eibt d-d-dein Ernst, es g-g-geht g-gleich los!
Nein wirklich, die Väter sind eine Gefahr, sie wollen das Kommando führen, und deshalb haben sie bei den Rennen nichts zu suchen. Bei den Rennen haben die Kinder auf Roberto zu hören und auf niemanden sonst.
Denn wenn es im Leben etwas gibt, wovon Roberto wirklich etwas versteht, dann davon, wie man ein Radrennen gewinnt. In seiner aktiven Zeit war er nie ein besonders guter Sprinter gewesen, und es fehlte ihm auch an der schieren Kraft, doch wie es die Zeitschrift »Radsport« in einer Sonderausgabe über die Wasserträger im Radsport der achtziger und neunziger Jahre so schön formulierte: Roberto Marelli, auch der Barman genannt, hat zwar selbst nie ein Rennen gewonnen, aber unzähligen Rennfahrern zum Sieg verholfen.
Und nach ihrer aktiven Zeit sind viele Wasserträger wie er die besten Trainer geworden. Die Leute denken, dass einer, der selbst viele Siege errungen hat, automatisch auch dem Nachwuchs zum Sieg verhelfen kann, aber das ist Unsinn. Das ist, als würdest du Malunterricht bei van Gogh nehmen. Aber was soll van Gogh dir beibringen? Er drückt dir den Pinsel in die Hand, stellt dich vor die Leinwand und sagt Also, mal mir ein Meisterwerk .
Nicht ohne Grund war kein einziger großer Champion in der Geschichte des Radsports ein großer Trainer. Bei einem schwierigen Anstieg würde Federico Bahamontes dir lediglich raten, im Sattel aufzustehen und alle anderen hinter dir zu lassen. Auf hügeliger Strecke in Wind und Regen würde Eddy Merckx dir den Tipp geben, das Lenkrad fest zu umklammern, kräftig in die Pedale zu treten, alle abzuhängen und so als Erster ins Ziel zu fahren. Die ganz Großen können niemanden beraten, weil sie gar nicht wissen, was ein Rennen ist. Sie fahren ganz vorn an der Spitze, nur das Ziel und den Sieg vor Augen, und haben keine Ahnung, was für eine Hölle aus Staub sie hinter sich aufwirbeln.
Doch genau damit kennt sich Roberto Marelli bestens aus. Er weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Beine stocksteif werden. Er weiß, dass du bei einer Hungerattacke in sengender Augustsonne vor Kälte bibbern kannst. Er kennt das Gefühl der Genugtuung, nach einer Etappe mit sieben Gipfeln, bei der dir auf halber Strecke der Saft ausgegangen ist, doch noch ins Ziel zu kommen: ohne Zuschauer und mit einer Stunde Verspätung, aber du bist weiter im Rennen und kannst deinen Mannschaftskapitän auch am nächsten Tag noch unterstützen. Denn jedes Rennen besteht aus vielen einzelnen Rennen, und jeder Fahrer muss seine eigene Schlacht schlagen. Jeder ist auf seine Art der Größte.
Sein Dorf hat das bis heute nicht verstanden. Nachdem er Profisportler geworden war, wurde er in Muglione gefeiert, aber die Euphorie verflog schnell. Ein Landsmann war Rennfahrer, das ja, aber er gewann nie, nicht einmal den Großen Preis von Camaiore und keine einzige Etappe beim Giro di Sardegna: Der Stolz auf den Radrennfahrer von Muglione schlug schnell in
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