Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Wassertrog zu füllen. Genaugenommen füllte ich ihn mehrere Male, bis die Schafe ihren ersten Durst gelöscht hatten. Zur gleichen Zeit traf ein mit Heu beladener Karren ein, den ich ablud und mit großer Sorgfalt in jeder Ecke des Pferchs einen Futterhaufen errichtete. Das stellte mich auf eine zweite Geduldsprobe, weil jedes Mal sofort die Schafe herandrängten, um zu fressen. Erst nachdem alle, bis auf die schwächsten Tiere, fürs Erste gesättigt waren, gelang es mir, das restliche Heu nach den Anordnungen von Meister Damon zu verteilen.
Sobald die Tiere versorgt waren, holte ich einen weiteren Eimer Wasser vom Brunnen. Die Frau lieh mir einen großen Topf, um es heiß zu machen, und zeigte mir eine vor neugierigen Blicken geschützte Stelle, wo ich mir den ärgsten Straßenstaub von der Haut waschen konnte. Mein Arm schien gut abzuheilen. Nicht übel für eine tödliche Verletzung, sagte ich mir und hoffte, dass Chade nie von meiner Dummheit erfuhr. Wie er darüber lachen würde! Als ich mich sauber fühlte, machte ich abermals Wasser heiß, um die von der Lumpensammlerin erstandenen Kleider auszuspülen. Der dunkelgraue Umhang war anschließend um etliche Schattierungen heller; den Mief brachte ich zwar nicht vollständig heraus, doch als ich ihn zum Trocknen aufhängte, roch er hauptsächlich nach nasser Wolle und weniger stark nach seinem früheren Besitzer.
Damon hatte mir nichts zu essen dagelassen, aber die Aufseherin der Pferche bot mir eine warme Mahlzeit an, falls ich es übernahm, den Stier und die Pferde zu tränken - eine mühselige Arbeit, von der sie nach den letzten vier Tagen herzlich genug hatte. Auf diese Weise verdiente ich mir eine Schüssel Eintopf, Brot und einen Krug Ale, um alles hinunterzuspülen. Danach ging ich hinaus, um nach meinen Schutzbefohlenen zu sehen. Die Schafe machten einen zufriedenen Eindruck, deshalb wandte ich mich aus alter Gewohnheit dem Stier und den Pferden zu. Ich stand an den Zaun gelehnt, betrachtete die Tiere und dachte darüber nach, wie ich mich fühlen würde, wenn dies hier mein ganzes Leben wäre. Gut, stellte ich fest, falls eine Frau wie Molly darauf wartete, dass ich abends nach Hause kam. Eine hochgewachsene weiße Stute näherte sich, um ihre Nase an meinem Hemd zu reiben und gestreichelt zu werden.
Ich tat ihr den Gefallen und fand heraus, dass sie ein sommersprossiges kleines Mädchen vermisste, das ihr Möhren immer gebracht und sie Prinzessin genannt hatte.
Hatte wohl irgendjemand irgendwo die Freiheit, wirklich das Leben zu leben, das er sich wünschte? Nachtauge vielleicht, jedenfalls wünschte ich es ihm. Ich wünschte es ihm von Herzen, hoffte aber gleichzeitig, dass er mich manchmal vermisste. Niedergeschlagen fragte ich mich, ob Veritas womöglich aus diesem Grund nicht zurückgekommen war. Vielleicht hatte er den ganzen Ärger mit der Krone und dem Thron sattgehabt und seine Spuren verwischt. Doch nein, überlegte ich, nicht er, nicht Veritas. Er war in die Berge gegangen, um die Uralten um Hilfe in der Bedrängnis zu bitten. Und falls ihm das nicht gelang, würde er einen anderen Weg zur Rettung finden. Was immer es war, er hatte mich gerufen, um ihm zu helfen.
KAPITEL 11
ALS SCHAFHIRTE
C hade Irrstern, König Listenreichs Ratgeber, war ein treuer Vasall des Hauses Weitseher. Kaum jemand wusste von seiner Existenz während der ganzen langen Zeit, in der er König Listenreich diente. Er selbst wollte es so haben, denn er war kein Mann, der nach Ruhm strebte. Vielmehr stellte er das Königshaus über alles andere, über sein eigenes Leben oder was sonst den Menschen wichtig ist. Er nahm seinen Treueschwur gegenüber dem Haus Weitseher außerordentlich ernst. Nach dem Tod König Listenreichs stand er unerschütterlich auf der Seite des rechtmäßigen Thronfolgers und seiner Gemahlin und wurde darum von Edel verfolgt, dem er jedes Recht auf die Herrscherwürde absprach. In Botschaften an jeden einzelnen der Herzöge sowie auch an Prinz Edel bekannte er sich als einen treuen Anhänger König Veritas’ und gelobte, keinem anderen den Treueeid zu leisten, bis man ihm Beweise für des Königs Tod vorlegte. Prinz Edel erklärte ihn daraufhin zu einem Rebellen und Hochverräter und setzte eine Belohnung auf Chades Kopf aus. Chade Irrstern wusste sich mit Schläue und Geschick seinen Nachstellungen zu entziehen und fuhr fort, in den Küstenprovinzen die Botschaft zu verbreiten, der rechte König sei nicht tot, sondern werde zurückkehren, um
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