Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
es getan habe, Fitz.« Er schob es zurück in die Scheide, die ich in Händen hielt, und dabei sah er mir in die Augen. »Und achte besser auf dich, als ich es getan habe. Ich habe dich geliebt, sollst du wissen. Trotz allem, was ich dir zugemutet habe, habe ich dich geliebt.«
Erst wusste ich keine Antwort darauf. Dann, als er seinen Drachen erreichte und die Hände auf dessen Stirn legte, dachte ich zu ihm: Ich habe nie daran gezweifelt, und auch Ihr sollt niemals daran zweifeln, dass ich Euch liebte.
Nie werde ich vergessen, wie er mir noch einmal über die Schulter zulächelte. Sein letzter Blick galt seiner Königin. Er presste die Hände fest an den gemeißelten Kopf des Drachen und schaute sie eindringlich an, als er von uns ging. Einen Augenblick lang roch ich den Duft von Kettrickens Haut, schmeckte ihre Lippen und fühlte die seidige Wärme ihrer nackten Schultern in meinen Händen. Dann war die flüchtige Erinnerung dahin, und dahin waren auch Veritas und Krähe. Für meine Alte Macht und die Gabe verschwanden sie so vollständig, als wären sie entfremdet worden. Zwischen einem Lidschlag und dem nächsten sah ich Veritas’ entseelten Körper, dann verschmolz er mit dem Drachen. Krähe hatte an der Schulter des Steinbildnisses gelehnt. Sie verging schneller als Veritas, löste sich auf in Türkis und Silber - Farbe, die über den Schuppenpanzer der gigantischen Kreatur flutete und sie in ihr strahlendes Licht hüllte. Uns allen stockte der Atem. Nur Nachtauge stimmte sein kurzes Wolfsgeheul der Wehklage an. Von Kettricken vernahm ich nur einen einzigen erstickten Schluchzer.
Dann, mit dem Fauchen eines ungeheuren Blasebalgs, sog der steinerne Drache Atem in seine Lungen. Er öffnete die Augen, und sie waren schwarz und glänzend, die Augen eines Weitsehers; ich wusste, Veritas schaute aus ihnen. Er hob das mächtige Haupt auf dem gebogenen Hals und reckte und streckte prüfend die noch unvertrauten, mächtigen Glieder. Die Krallen an seinen Pranken gruben tiefe Furchen in den Stein des Sockels. Plötzlich entfalteten sich rauschend seine gewaltigen Schwingen, wie vom Wind geblähte Segel. Er schüttelte sie wie ein Falke, der sein Gefieder ordnet, dann faltete er sie wieder glatt und legte sie an den Körper. Sein Schweif schlug einmal peitschend hin und her und fegte Staub und kleine Steinchen in die Luft. Darauf wandte sich der Drachenschädel in unsere Richtung. Die Augen verlangten, dass wir ebenso angetan von seiner neuen Gestalt sein möchten wie er.
Veritas-als-Drache setzte sich in Bewegung, um vor seine Königin hinzutreten. Gegenüber dem Haupt, das sich zu ihr niedersenkte, erschien sie beinahe zwergenhaft; ich sah ihr ganzes Spiegelbild in einem der glänzenden schwarzen Drachenaugen. Dann senkte der Drache eine Schulter, was als Einladung aufzusteigen zu verstehen war.
Einen Augenblick lang war Kettrickens Gesicht voller Gram, das Gesicht einer Frau, die um ihren Gatten trauert; dann setzte sie an zu einem tiefen Atemzug, und aus der sich grämenden Frau wurde die strahlende Königin. Furchtlos trat sie vor und legte eine Hand auf Veritas’ schimmernde blaue Schulter. Die Schuppen waren glatt wie Glas. Kettricken hatte Mühe, auf Veritas’ Rücken zu steigen und sich dann weiter nach vorn zu schieben, um an seinem Nacken Platz zu nehmen. Merle warf mir einen genauso erstaunten wie schreckerfüllten Blick zu, doch trotz eines kurzen Zögerns folgte sie der Königin nach. Sie setzte sich hinter Kettricken und überzeugte sich noch einmal davon, dass ihre Harfe sicher befestigt war.
Kettricken hob den Arm zu einem Abschiedsgruß. Sie rief etwas, aber die Worte gingen im Wind der sich öffnenden Drachenschwingen unter. Der Drache bewegte seine Flügel ein-, zwei-, dreimal auf und nieder, wie um sich daran zu gewöhnen. Staub und Steine flogen mir wie Nadelspitzen ins Gesicht, und Nachtauge drückte sich eng an mein Bein. Der Drache kauerte sich wie ein Raubtier nieder zum Sprung. Die ausgepannten türkisfarbenen Schwingen peitschten noch einmal auf und ab, bis er plötzlich nach oben schnellte und losflog. Erst schien es nicht gelingen zu wollen, denn sein Flug war unstet, und er gewann nur mühsam an Höhe. Ich sah, wie Merle sich verzweifelt an Kettricken klammerte, doch Kettricken beugte sich auf den Nacken des Drachen und spornte ihn mit lauten Rufen an. Endlich schien er sich von den Fesseln der Erde gelöst zu haben, stieg höher empor und kreiste über den Hügeln und Wäldern
Weitere Kostenlose Bücher