Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
hätte ich zu gern über seine Pläne Bescheid gewusst und erfahren, von welchen Geheimnissen er mich ausgeschlossen hatte. Unversehens bekamen mein Verhalten ihm gegenüber ein völlig anderes, ein hässliches Gesicht. Hatte ich Chade aus meiner Nähe vertrieben, um ihn nicht mit mir ins Verderben zu reißen, oder hatte ich ihn ausgerechnet in dem Augenblick verlassen, als er seinen Schüler am dringendsten brauchte?
»Bist du noch da, Cob? Ich kann dich zwar sehen wie einen Schatten, aber an deinem Platz ist es sehr still geworden.«
»Ich bin da, Harfner Josh!« Ich bemühte mich um einen lebhaften Tonfall. »Ich denke nur über all das nach, was ich gerade erfahren habe.«
»Er schaut gerade so aus, als müsse er überlegen, welchen pockennarbigen alten Mann er König Edel verkaufen könnte«, warf Imme spitzzüngig ein. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ihre dauernden Seitenhiebe und Anzüglichkeiten eine Art von Anbandelungsversuch darstellten. Von einem Augenblick auf den anderen hatte ich genug von menschlicher Gesellschaft und Unterhaltung. Mir fehlte einfach die Übung im Umgang mit Menschen. Zeit zu gehen. Sollten sie mich für seltsam und unhöflich halten, das war besser, als wenn ich noch länger blieb und ihre Neugier weckte.
»Nun, ich danke euch für eure Lieder und eure Gesellschaft«, sagte ich und suchte einen Groschen heraus, um ihn für den Schankburschen unter den Krug zu legen. »Doch jetzt sollte ich mich wieder auf den Weg machen.«
»Aber es ist stockdunkel draußen!«, rief Melisma überrascht aus. Sie stellte ihren Krug hin und schaute Imme an, deren Miene Bestürzung verriet.
»Und kühl, mein Fräulein«, versetzte ich munter. »Ich marschiere lieber bei Nacht. Wir haben beinahe Vollmond, und mehr Licht braucht man nicht auf einer Straße, die so breit ist wie der Fernweg.«
»Hast du keine Angst vor Entfremdeten?«, fragte Harfner Josh verwundert.
Nun war es an mir, überrascht zu sein. »Entfremdete? So weit landeinwärts?«
»Du musst wirklich auf einem Baum gelebt haben!«, rief Imme. »Sie machen alle Straßen unsicher. Manche Reisende heuern bewaffnete Begleiter an, Bogenschützen, Schwertkämpfer. Andere, wie wir zum Beispiel, reisen wenn möglich nur in Gruppen und nur bei Tag.«
»Sind die Patrouillen nicht in der Lage, sie in Schach zu halten?«
»Die Patrouillen?« Imme schnaubte verächtlich. »Die meisten von uns würden lieber Entfremdeten in die Arme laufen als dem Farrow-Pack mit seinen Piken. Die Entfremdeten halten sich von ihnen fern, und deshalb lassen auch sie die Entfremdeten unbehelligt.«
»Auf wozu dann die Patrouillen?«
»Wegen der Schmuggler - angeblich.« Josh kam Imme mit der Antwort zuvor. »Das wollen sie zumindest glauben machen. Manch einen ehrsamen Reisenden halten sie an, um sein Gepäck zu durchsuchen, und nehmen sich, was ihnen gerade ins Auge fällt. Sie nennen es dann Schmuggelware oder behaupten, es wäre in der letzten Stadt als gestohlen gemeldet worden. Mir scheint, Lord Vigilant bezahlt sie nicht nach ihren Ansprüchen, also bessern sie eigenmächtig ihren Sold auf.«
»Und Prinz... König Edel sieht tatenlos zu?« (Wie schwer mir der Titel und die Frage über die Lippen gingen!)
»Nun, wenn du dir die Mühe machen willst, bis Burg Fierant zu reisen, kannst du ans Tor klopfen und ihm deine Beschwerde selbst vortragen«, erklärte Imme sarkastisch. »Ich bin überzeugt, er wird gerade dich anhören, nachdem er sich bei den zwölf Abgesandten zuvor nicht herabzulassen geruhte.« Sie runzelte die Stirn. »Obwohl man auch hört, dass er, wenn Entfremdete weiter ins Landesinnere vordringen, Mittel und Wege hat, sie sich vom Hals zu schaffen.«
Ich konnte es nicht fassen. König Listenreich hatte seinen ganzen Stolz darin gesetzt, dass Reisenden im Herzogtum Bock so gut wie keine Gefahr von Wegelagerern drohte, zumindest nicht auf den Überlandstraßen. Jetzt hören zu müssen, dass Männer mit dem Auftrag, auf des Königs Straßen für Sicherheit zu sorgen, selbst kaum besser als Strauchdiebe waren, versetzte mir einen tiefen Stich. Nicht genug damit, dass Edel den Thron für sich beansprucht und dann Bocksburg verlassen hatte, um sich in Farrow, der Heimat seiner Mutter, ein schönes Leben zu machen; er bemühte sich nicht einmal, dem Anschein nach ein fürsorglicher Herrscher über sein Volk zu sein. Verstört fragte ich mich, ob er das ganze Land für seine kühle Zurückhaltung bei seiner Thronbesteigung bestrafen wollte. Aber
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