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Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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das heißen, Tony?‹« Zwei katholische Nonnen in schwarzer Ordenstracht gingen an uns vorbei. »Er hat nicht geantwortet. Er ist einfach davongestürmt und hat sich im Dunkeln wie eine Statue in die Mitte des Tennisplatzes gestellt. Eine glatte halbe Stunde stand er da draußen.«
    Nach unserer Rückkehr machten sich Jess und einer der Torwächter daran, Angelruten, Lebensmittel und Campingausrüstung in den Lincoln und den Cadillac zu laden. Schwacher Regen rauschte in den Bäumen im Garten. Ich sagte Tony, ich ginge auf mein Zimmer, um eine Kleinigkeit einzupacken; dort schloß ich mich im Bad ein, zog meine Khakihosen herunter und klebte mir den Miniaturkassettenrecorder an die Innenseite des Oberschenkels. Um ihn zu aktivieren, mußte ich nur die Hand herunterfallen lassen und so tun, als kratze ich mich am Bein.
    Wie absurd, dachte ich: Da hatte ich soviel Energie und Anstrengung darauf angewandt, einen Mann ins Gefängnis zu bringen, der mit meinem Leben nicht das geringste zu tun hatte, der mir nie geschadet hatte, der sich selbst am Rand des Drogenwahnsinns befand. Was mir Jess auf dem Busbahnhof von Tony erzählt hatte, verblüffte mich nicht. Psychologen nennen so was manchmal eine Weltzerstörungsphantasie. Drogensüchtige in der ersten Phase des Entzugs sitzen mit einem Schlag auf dem Trockenen: Das Haus brennt, und da ist keine Feuerleiter. Sie erwachen mitten in der Nacht mit einem namenlosen Horror, für den es keine Bezeichnung gibt und den sie wie ein groteskes Monster an einer Kette mit sich in den hellichten Tag schleppen. Manchmal bleibt ihnen die Luft weg; das Herz rast wie verrückt, Adern schwellen im Inneren des Hirns an, um den Kopf schließt sich ein mächtiger Druckring wie ein enger werdender Schraubstock. Das einzige Bild, das diese Angst adäquat beschreiben kann, entstammt direkt aus der Offenbarung des Johannes: Das Ungeheuer klettert aus dem Meer, und der Himmelsrand verfärbt sich tiefschwarz wie ein riesiges Blatt Löschpapier, das man über die Flamme hält.
    Psychologen behaupten, dies entspreche einer Wiederholung der Erfahrung der eigenen Geburt. Aber die Worte bringen in diesem Fall keinen Trost, genauso wenig, wie sie es bei dem Kleinkind vermögen, das, soeben aus dem Mutterleib geschlüpft, auf den Schlag des Lebens wartet.
    Während ich Anstalten traf, eine getriebene Kreatur wie Tony Cardo für immer und ewig hinter Gitter zu bringen, hatte ich in der Zwischenzeit nur sehr wenig dafür getan, das Versprechen in die Tat umzusetzen, das ich Tante Lemon und Dorothea gegeben hatte – nämlich Tee Beau Latiolais davor zu bewahren, schließlich doch in Angola auf den elektrischen Stuhl gesetzt zu werden. Und während Tee Beau wie ein Blatt im Wind von den Zeitläuften hin und her gewirbelt wurde und sich hinter einer dunklen Sonnenbrille in einer Pizzabude an der Ecke St. Charles Street und Canal Street mitten in der Innenstadt von New Orleans zu verstecken versuchte, war ein Psychopath wie Jimmie Lee Boggs dazu in der Lage, sich in drei Bundesstaaten frei zu bewegen und weiteres Blut zu vergießen.
    Ich steckte das Flanellhemd in die Khakihose, knöpfte sie zu, schnallte den Gürtel zu und blickte in den Spiegel. So oder so, jetzt wird sich’s zeigen, dachte ich und trug meine Reisetasche und den Aktenkoffer mit den fünfzigtausend Dollar vor die Tür. Tony legte gerade Paul auf dem Beifahrersitz des Lincoln den Sicherheitsgurt an. Paul trug eine blaue Anglerkappe mit einem aufgenähten weißen Anker und grinste mich fröhlich an.
    »Dad nimmt uns mit dem Boot raus, wenn’s aufgehört hat zu regnen«, sagte er.
    »Ja, bei solchem Wetter bilden sie Schwärme. Und dicht an der Küste werden sie auch sein«, sagte Tony. »Dave, halten Sie sich zwischen uns und dem Caddy.«
    »Ich gehe schon nicht verloren.«
    »Kann man nie wissen. Wir nehmen die Interstate 10 und nicht die Straße über Land. Ich will Sie die ganze Zeit über in meinem Rückspiegel haben, klar?«
    »Klar«, sagte ich.
    Damit war auch die letzte Hoffnung dahin, zu Minos Kontakt aufzunehmen. Ich war also auf mich alleine gestellt. Wir bildeten eine Karawane und rollten durch das Fronttor. Der Regen zog sich wie ein graues Leinentuch über den Lake Pontchartrain, und die vergilbten Palmwedel auf der Promenade raschelten und bogen sich im Wind.
    Tonys Angelhütte befand sich im unteren Teil des Mündungsbeckens des Pearl River, nicht weit weg vom Golf. Sie war aus naturbelassenem Zypressenholz gebaut, mit einem

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