Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
abgeschnittene Trainingshosen, und der Schweiß floß in wahren Strömen. Viele hatten riesige, hervorquellende Genitalien, Hälse wie Baumstümpfe und Schultern, an denen man eine Zaunlatte hätte zerschlagen können. Manche der Schwarzen waren so schwarz wie Teer, manche Weiße so weiß, daß ihre Haut leuchtete. Und alle schienen sie über ein grenzenloses Reservoir animalischer Sexualität und Kraft und skrupelloser Energie zu verfügen, das einen erschaudern ließ, wenn man sich vor Augen hielt, daß sie bald wieder draußen sein würden.
Ihre Tätowierungen waren unglaublich: Spinnen in purpurnen Netzen, die sich quer über die Schulterblätter spannten, Schlangen, die sich um Bizeps und Unterarm wanden, Totenschädel mit schwarzen Kappen, auf Messer aufgespießte Herzen, Hakenkreuze in Adlerklauen, grüne Drachen, die quer über die Lenden Feuer spieen, Südstaatenflaggen, mit Lilien geschmückte Kruzifixe und das Gesicht von Christus mit roten Blutstropfen auf der gemarterten Stirn.
Es gab einen kritischen Moment. Ein großer weißer Mann mit einem schwarzen Kinnbart, der nur ein Suspensorium und Tennisschuhe trug, saß an der Wand und wischte sich Brust und Bauch mit einem zerfledderten grauen Handtuch. Seine Augen fixierten mein Gesicht und blieben dort; dann sagte er: »Den Burschen kenne ich. Er ist ein Cop.«
Das Klirren der Hanteln hörte abrupt auf. Im Raum war es totenstill.
Dann setzte ein großer schwarzer Mann, der einen abgeschnittenen Nylonstrumpf auf dem Kopf trug, die Gewichte ab und sagte zu mir: »Was hast du dazu zu sagen, Kumpel?«
»Seh ich wie ein Bulle aus? Wirf nur mal ’nen Blick in meine Akte«, sagte ich.
»Nein, wir sehen uns gar nichts an. Er gehört zu mir«, sagte Tony. Er blickte hinunter auf den großen weißen Mann, der mit gespreizten Knien auf dem Boden saß. »Willst du etwa behaupten, einer meiner Leute sei ein Cop?«
Der Mann sah Tony in die Augen, dann wurde sein Blick starr, ins Nichts gerichtet.
»Er sieht aus wie jemand, den ich früher öfter gesehen habe«, sagte er. »Muß jemand anders gewesen sein.«
Im Raum blieb es still. Ich konnte den Verkehr draußen auf der Straße hören. Alle Augen waren auf Tony gerichtet.
»Na also. Kein Problem«, sagte er. Er lachte, nahm dem Mann das Handtuch aus der Hand und rubbelte ihm damit den Kopf. »Hey, was ist los mit dem Kerl hier? Habt ihr den so verdreht, oder werden die heute schon so ab Werk geliefert?«
Der Mann grinste verlegen; dann brach alles in Gelächter aus. Die Hanteln wurden wieder lautstark gewuchtet, und die Männer faßten sich gegenseitig an und nickten sich zu, um zu zeigen, wie sehr sie Tonys Intelligenz und Schlagfertigkeit oder welche Fähigkeit es auch immer war, mittels deren er die Schlange wieder in den Korb gelockt hatte, bewunderten.
Tony ging an mir vorbei zur Tür hinaus, ein starres Lächeln auf dem Gesicht, und stieß mich mit dem Daumen an. Wir gingen Seite an Seite zurück zu unserer Zelle. Er blickte unverwandt nach vorne. Er pfiff ein paar unzusammenhängende Töne und sagte dann: »Kennen Sie den Kerl?«
»Nein, ich erinnere mich nicht an ihn.«
»Er hat in Angola für zwanzig Dollar einen Polizeispitzel mit einem Eispickel getötet. Wir sollten heute viel Dame spielen, ein bißchen über Bücher quatschen, klar?«
»Sie sind ein verrückter Kerl, Tony.«
»Ich bin vor allem eins: zu alt für diese Scheiße.«
Aber wir hatten uns wegen der Männer im Fitneßraum unnötige Sorgen gemacht. Bis zum Mittag hatte uns Tonys Anwalt herausgeholt, und alle Anklagepunkte waren fallengelassen worden. Nate Baxter hatte keine hinreichenden Verdachtsmomente gehabt, um uns anzuhalten und zu durchsuchen, Tonys Anwalt legte seinen Waffenschein vor, und was sie mir vorwarfen – Obstruktion eines Beamten in der Ausübung seiner Dienstpflicht –, war derart fadenscheinig, daß das Büro des Staatsanwalts keine Zeit darauf verschwendete. Der einzige Verlierer war Jess, dessen Schrotpistole beschlagnahmt wurde.
Wir lösten den Lincoln bei der Polizei aus, und Tony lud uns zum Mittagessen in ein Straßencafé auf der St. Charles Street ein. Es war ein wunderschöner Herbsttag mit Temperaturen um die zwanzig Grad und einer milden Brise aus dem Süden, die das herabhängende Moos in den Eichen entlang des Boulevards bewegte. Auf der Promenade verkaufte ein Schwarzer Eistüten aus einem weißen Wagen mit einem Sonnenschirm. Die vertrockneten Blätter einer dickstämmigen Palme warfen ständig
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