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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Gesundheitswesens kosteten diese Tests Leonard keinen Cent. Aber da die Wartezeit für beides inzwischen mindestens neunzehn Monate betrug, befürchtete Leonard, dass er schon lange vor diesen Untersuchungen an der Ursache dieser Schmerzen sterben würde. So erging es Senioren ohne nennenswertes Privatvermögen schon seit vielen Jahren.
    Niemand war daran schuld. Leonard selbst hatte die Gesundheitsreform, die die Verantwortung für alle Entscheidungen auf diesem Sektor letztlich dem Staat übertrug, begeistert unterstützt. Allerdings musste Leonard manchmal ein wenig verzagt lächeln, wenn er an den von seinem Collegementor Bert Stern geprägten Begriff »das eherne Gesetz der unbeabsichtigten Folgen« dachte.
    Doch ganz gleich, wie lange er noch zu leben hatte, Leonard
wusste, dass er diese letzte Nacht im Lastwagenkonvoi durch Colorado nie vergessen würde.
    Solange er in Boulder lebte und lehrte, hatte Leonard den Rocky Mountains kaum Beachtung geschenkt. Daher hielt die lange Nachttour durch diesen gebirgigen Teil des Landes einige Überraschungen für ihn bereit.
    Natürlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn Val nicht den ganzen Tag und die Nacht getrennt von ihm gefahren wäre, zuerst mit Gauge Devereaux und dann mit Henry Big Nose Begay. Leonard hatte große Befürchtungen, dass sich sein Enkel bei der Wiederbegegnung mit Nick Bottom am nächsten Tag in Denver vielleicht zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen ließ, und er hoffte, den Verdacht des Jungen zerstreuen zu können. Außerdem musste er wegen der verschlüsselten Dateien auf Daras Telefon dringend mit Val reden. Vor allem drängte es ihn danach, das Passwort auszuprobieren, das seiner Meinung nach das richtige war, und den Text zu lesen – falls er etwas Belastendes enthielt, das seinen Enkel noch mehr gegen Nick Bottom aufbringen würde. Aber Val schleppte das abgewetzte alte Telefon ständig mit sich herum.
    Nach Stunden fruchtloser Anspannung fing Leonard ein Gespräch mit dem Fahrer Julio Romano an. Perdita hatte sich in das Schlafabteil zurückgezogen.
    Julio zeigte Lust, sich über Politik und jüngere Geschichte zu unterhalten, und Leonard ging darauf ein, nachdem er festgestellt hatte, dass der Fahrer zu den seltenen Menschen gehörte, die mit einem gewissen ironischen Abstand über solche Themen diskutieren konnten, ohne in Rage zu geraten.
    »Gut«, sagte Julio. »Ich habe nicht oft Gelegenheit, in meinem Führerhaus mit einem echten Literaturprofessor zu plaudern. Soll ich Sie mit Professor ansprechen?«
    »Leonard wäre mir lieber.«

    »Na schön, Lenny. Da tun wir uns leichter. Aber ich vergesse natürlich nicht, dass Sie ein emeritierter Professor sind.«
    Normalerweise hätte sich Leonard darüber geärgert, Lenny genannt zu werden – das hatte noch niemand getan –, aber aus Julios Mund klang es überhaupt nicht abschätzig, sondern einfach nur angemessen.
    Als sie sich dem Anstieg über den Loveland Pass näherten, sprach Julio über den Niedergang von Nationen. Leonard staunte immer wieder, wie gut informiert und belesen der Trucker war.
    »Aber ich glaube nicht, dass sich Großbritannien bewusst für den Niedergang entschieden hat.« Leonard gab sich Mühe, keinen dozierenden Tonfall anzuschlagen. »Es war einfach eine unvermeidliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg – das Land war bankrott, und die Menschen haben sich geweigert, nach fünf Jahren gemeinsamer Not wieder zum Klassensystem der Vorkriegszeit zurückzukehren.«
    »Also haben sie Winston Churchill ohne ein Wort des Dankes den Laufpass gegeben und sich für den Sozialismus entschieden.« Julio schaltete mehrere Gänge nach unten, als der Konvoi vor dem abgesperrten Eisenhower Tunnel von der I-70 auf den schmaleren Highway 6 abbog, der sich hinauf zum Nachthimmel wand.
    »Ja nun.« Leonard machte es ein wenig nervös, mit einem arbeitenden Menschen über »Sozialismus« zu diskutieren. Die wenigen Arbeiter, die er kannte, fanden den Begriff schädlich und reagierten manchmal sehr heftig darauf. »Das britische Empire war sowieso am Ende, unabhängig vom jeweiligen Premierminister und vom politischen System.« Leonard hob die Stimme ein wenig, um das Motorendröhnen zu übertönen. »Ob Sozialismus oder nicht, die Knappheit war einfach eine Realität.«
    »Vielleicht.« Julio Romano lächelte. »Aber vergessen Sie nicht, was Churchill gesagt hat.«
    »Was meinen Sie?« Leonard klammerte sich an der gepolsterten
Armlehne fest, als die beiden ersten scharfen

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