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Flashback

Titel: Flashback Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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hatten bereits ihren Tribut gefordert. Vor sechs Jahren war Dean ein wenig untersetzt gewesen, aber sehr vital, wach und fit: ein Country-Club-Tennisspieler, der einem Profi ein anständiges Match liefern kann. Inzwischen hatte Dean an die zwanzig Kilo abgenommen. Das einst starke und blühende Gesicht, auf dem während der ersten Vernehmung fast immer das zuversichtliche Lächeln eines Unternehmensführers geprangt hatte, war ausgezehrt und ausdruckslos bis auf den verwirrten Blick, den Nick mit Downsyndromkindern assoziierte. Deans aus der losen Robe ragende Arme waren skelettartige Stöcke, an deren Knochen Reste erschlaffter Muskeln hingen. Die knochigen
Finger zitterten wie bei einem Greis. Am bestürzendsten fand Nick die fünf Zentimeter langen, gebogenen, pissgelben Fingernägel.
    Dean saß auf einer niedrigen Bank zwischen Hecke und Kiesweg, und sein verstörter Blick hing an der hinteren Tür des Auditoriums.
    Nick ließ sich auf der Bank gegenüber nieder und stellte sich vor. Er schüttelte ihm nicht die Hand und nannte auch nicht Satos Namen.
    »Es ist fast an der Zeit, dass ich wieder zurückgehe … in … auf … « Derek Deans Stimme war brüchig wie eine Erdnussschale. »Fast an der Zeit.«
    »Erinnern Sie sich an mich, Mr. Dean?« Nick schlug einen scharfen Ton an, um den Mann auf sich aufmerksam zu machen.
    Der trübe Blick wanderte über Nicks Gesicht. »Ja. Detective Bottom …, sie haben mich informiert … Detective Bottom will noch mal mit mir sprechen. Aber es ist schon fast an der Zeit, verstehen Sie … , dass ich wieder zurückgehe … «
    »Wir machen es kurz.« Nick klärte den Exmanager nicht darüber auf, dass er kein Detective mehr war. Vielleicht war diese falsche Annahme sogar nützlich, um die Befragung voranzubringen.
    Vor sechs Jahren war Deans Kopf bereits kahl geschoren gewesen, aber Nick hatte Fotos des Managers mit vollem rotblonden Haar gesehen. Auch seine Haut hatte damals noch eine gesunde Bräune gehabt. Jetzt war Deans kahler Schädel weiß wie ein Fischbauch und übersät mit kleinen Wunden.
    »Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Vernehmung, Mr. Dean?« Nick unterdrückte den Drang, mit den Fingern zu schnippen, um ihn aufzuwecken.
    Der flache, aber hungrige Blick riss sich von der Auditoriumstür los und versuchte sich auf Nick zu konzentrieren. »Ja, vor mehreren Wochen … Ja, Detective. Dieser junge Japaner, der gerade gestorben
war. Ja. Aber wissen Sie, danach hat Mrs. Howe gesagt, ich kann während der Pause an dem Alamowandgemälde im Zeichensaal arbeiten. Wussten Sie, dass Davy Crockett bei der Belagerung von Alamo gestorben ist?«
    Sato stieß ein fragendes Knurren aus.
    »Ist Mrs. Howe deine Lehrerin, Derek?«
    Dean strahlte über Nicks Frage. Obwohl er für die ständige medizinische Betreuung am Naropa Institute ein Vermögen ausgegeben hatte, hatte er in den vergangenen sechs Jahren mehrere Zähne verloren. »Ja, Mrs. Howe ist meine Lehrerin.«
    »In welche Klasse gehst du, Derek?«
    »In die dritte. Noch ganz am Anfang. Und Mrs. Howe hat gesagt, dass Calvert, Juan, Judy und ich während der Pause im Zeichensaal an dem Alamowandgemälde arbeiten können. Wir haben genug Buntstifte.«
    »Kannst du dich erinnern, welche Fragen ich dir letztes Mal zu dem Mord an Keigo Nakamura gestellt habe? Weißt du das noch?«
    Dean runzelte die Stirn und schien den Tränen nahe. »Das ist schon so viele Wochen her, dass Sie hier waren, Detective Bottom. Ich war seitdem wahnsinnig beschäftigt.«
    »Das sehe ich.«
    »Wer sein Karma ablegen will, muss jeden Moment aufsuchen, in dem es gewachsen ist.« Deans Stimme wurde entschiedener. »Vollkommene Versenkung ist der einzige Weg, ein umfassendes, seelenveränderndes Bewusstsein zu erlangen, Detective. Meine spirituellen Berater helfen mir mit ihren Erkenntnissen, alles neu zusammenzufügen.« Er klang wie ein Schüler, der etwas Unverstandenes auswendig herunterleierte.
    »Mr. Dean, haben Sie Keigo Nakamura getötet?«
    » Was? Ein menschliches Wesen töten?« Deans ausgemergelte Finger zuckten zu den gesprungenen Lippen und den eingesunkenen Wangen. » Habe ich es getan, Detective? Wissen Sie es?
Es wäre sicherlich hilfreich, wenn es einer von uns wüsste, nicht wahr?«
    »Warum waren Sie in der Mordnacht auf Keigo Nakamuras Party?«
    »War ich dort? War ich wirklich dort, Detective? Wirklichkeit ist nämlich ein relativer Begriff. Davy Crockett und Jim Bowie sind vielleicht tot … Vielleicht leben sie aber noch auf

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