Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
trocknet Tränen wie nix andres.«
Bei dieser Vorstellung musste ich lächeln, aber nur ganz kurz.
»Setz dich an den Tisch, ich stell Wasser auf«, sagte sie. »Eine schöne Tasse Tee ist gut für den Magen, sagte der Bischof zur Revuetänzerin. Huch! Entschuldige, Liebes! Das hätte mir nicht rausrutschen dürfen. Solche Sprüche bringt mein Alf von seinen Veteranentreffen mit, und dann muss ich immer lachen. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.«
Wovon redete sie? Ihre Bemerkung war nicht im Mindesten amüsant gewesen. Genau genommen war sie völlig sinnlos.
Trotzdem erinnerte sie mich an etwas: an den Bischof.
Beim Gedanken an den Bischof fiel mir wiederum sein Justiziar ein.
»Wissen Sie irgendwas über Mr. Ridley-Smith, den Richter?« Schon war die Frage heraus.
»Nur, dass er ein Hitzkopf ist. Diese Ridley-Smiths sind ein komischer Haufen. Mit denen stimmt was nicht.«
»Der eine soll ja aus Glas gewesen sein«, schob ich probehalber nach. »Und das Krokodil von einer anderen soll das Zimmermädchen gefressen haben.«
Mrs. Mullet rümpfte die Nase. »Verglichen mit dem Jetzigen waren die harmlos, Richter hin oder her. Bleib bloß weg von dem Kerl.«
»Aber Harriet ist doch früher oft nach Bogmore Hall gegangen.«
Mit dem Teekessel in der Hand blieb Mrs. Mullet auf hal-bem Weg zum Herd wie angewurzelt stehen.
»Wo hast du das denn her, Frolleinchen?«
Mit einem Mal war es in der Küche eiskalt. Ich ahnte, dass ich zu weit gegangen war.
»Ach, das weiß ich nicht mehr«, sagte ich leichthin. »Kann sein, dass Daffy oder Feely mal so was erwähnt haben.«
»Miss Daphne und Miss Ophelia wissen nichts davon. Das war ein Geheimnis zwischen Miss Harriet und mir. Nicht mal der Colonel hat Bescheid gewusst. Ich hab immer die Fresskörbe gepackt, und sie hat sie mitgenommen.«
»Zu Jocelyn Ridley-Smith?«
»Jetzt hör mal gut zu, Fräulein Neunmalklug! Diesen Namen erwähnst du in diesem Haus nie wieder, verstanden? Sonst heißt es am Ende, ich bin schuld, und ich werde entlassen, weil ich zu viel plaudere. Und jetzt raus mit dir – und schlag dir die Ridley-Smiths aus dem Kopf!«
»Denken Sie, es war unrecht, dass Harriet mit Jocelyn befreundet war?«
»Was ich denke, interessiert keinen. Ich werde hier nicht fürs Denken bezahlt. Ich komme jeden Tag her und koche für euch, und dann gehe ich wieder heim, und damit basta.«
»Aber …«
»Basta, hab ich gesagt!«, unterbrach mich Mrs. Mullet ener-gisch. »Ich will nicht wissen, was mein Alf dazu sagt, wenn ich heimkomme und ihm mitteilen muss, dass ich meine Stelle verloren habe. Und jetzt troll dich.«
Ich trollte mich.
Aber Mrs. Mullet hatte mich auf eine Idee gebracht.
Mrs. Mullet und ihr Alf wohnten in einem malerischen Häuschen fast am Ende der Cobbler’s Lane, einem schmalen Sträßchen, das von der Hauptstraße abging und nirgendwo hinführte.
»Alf sagt, wir wohnen in der Sackgasse«, hatte mir Mrs. Mullet erklärt. »Weil die Straße hinten ganz plötzlich zu ist, wie ein Sack.«
Eine rotbraune Katze saß im Fenster und beobachtete mich aus einem geöffneten Auge.
Ich klopfte und setzte eine ehrerbietige Miene auf.
Über das Familienleben der Mullets wusste ich nicht viel, abgesehen von den kleinen Episödchen, die Mrs. M. gelegentlich zum Besten gab. So war ich zum Beispiel im Bilde darüber, dass Alf für sein Leben gern Sahnetorte aß, dass ihre Tochter Agnes im letzten Kriegsjahr zu Hause ausgezogen war, um Stenografie zu lernen, und dass ihr Zimmer seither unverändert wie ein Schrein der Mächte der Schreibmaschine bewahrt wurde, aber das war auch schon so gut wie alles.
Die Tür ging auf, und da stand er vor mir. Alf. Er war mittelalt, mittelgroß, hatte mittelviele Haare und war mitteldick. Das einzig Auffällige an ihm war seine Haltung: aufrecht wie ein Ladestock. Mir fiel wieder ein, dass auch Alf in der Armee gewesen war und wie Vater und Dogger vieles erlebt hatte, von dem nie gesprochen werden durfte.
»Sieh da, sieh da«, sagte er, als er mich erblickte. »Welchem Umstand haben wir denn diese außerordentliche Freude zu verdanken?«
Mit den gleichen Worten hatte er mich schon bei meinem letzten Besuch vor einem halben Jahr begrüßt.
»Ich stelle ein paar Nachforschungen an«, antwortete ich. »Und da hätte ich gern Ihren Rat.«
»Nachforschungen, soso. Dann komm am besten rein und erzähl mal.«
Bevor man die ersten beiden Takte von »Rule, Britannia« hätte pfeifen können, saß ich auch schon
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