Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
in der winzigen Küche, die makellos sauber und aufgeräumt war.
»Entschuldige, dass ich dich nicht in den Tanzsaal bitte«, sagte Alf, »aber die gnädige Frau hat’s nicht gern, wenn man ihre Kissen durcheinanderbringt.«
»Ist schon gut, Mr. Mullet. Geht mir genauso.«
»Bist’n vernünftiges Mädel. Ganz famos.«
Ich kam gleich zur Sache. »Ich habe mich vorhin mit Mrs. Mullet über die Ridley-Smiths unterhalten«, sagte ich in sachlichem Ton.
Was nicht gelogen war, jedenfalls nicht direkt.
»Aha«, brummte Alf unverbindlich, ohne mich anzuschauen. »Sonst noch über was?«
»Nein … nur über die Ridley-Smiths. Vor allem über den Richter.«
»Aha«, brummte Alf wieder.
»Er hatte eine sehr hübsche Frau. Ich glaube, ich habe schon mal eine Fotografie von ihr gesehen.«
»Ist schon ulkig«, entgegnete Alf, »dass jedes Dorf so sein Geheimnis hat, nicht wahr? Irgendwas, worüber nicht gesprochen wird. Ist dir das schon mal aufgefallen? Also mir schon.«
»Und dieses Thema gehört auch dazu, oder?«
Alf hantierte mit dem Teekessel, und zwar mit den gleichen Bewegungen wie seine Gattin in unserer Küche auf Buckshaw. Wenn zwei Leute seit hunderttausend Jahren miteinander verheiratet sind, werden sie wahrscheinlich irgendwann zu Zwillingen.
»Schöner Tag heute.« Alf nahm mir gegenüber am Küchentisch Platz. »Bisschen windig. Aber für März nicht übel.«
»Ich war auf Bogmore Hall«, sagte ich. »Ich bin Jocelyn Ridley-Smith begegnet. Ich habe mit ihm geredet.«
Alf zuckte kaum merklich zusammen. Hätte ich nicht bewusst darauf geachtet, wäre mir nichts aufgefallen.
»Ach ja? Donnerwetter.«
»Ja.«
Die Unterhaltung war an einem toten Punkt angekommen.
Alf schnipste einen Krümel vom Tisch, dann beugte er sich vor, hob ihn wieder auf und betrachtete ihn so eingehend, als handelte es sich um ein Krümelchen Mondstaub.
»Ich brauche Ihre Hilfe, Mr. Mullet«, versuchte ich es noch einmal. »Ich führe eine genealogische Untersuchung durch, weil ich einen Artikel schreiben möchte: Die normannischen Wurzeln einiger Familien in der Pfarrgemeinde von …«
Noch ehe ich ausgesprochen hatte, erkannte ich an seinem Grinsen, dass dieser Trick bei ihm nicht verfing.
»Ich weiß ja, dass Sie beim Militär waren«, änderte ich meine Taktik. »Ich weiß, dass Sie wegen der Geheimhaltungsvorschriften über gewisse Dinge immer noch nicht sprechen dürfen. Das respektiere ich. Ich werde Ihnen zum Beispiel keine Fragen zu meinem Vater stellen, und auch nicht zu Dogger. Damit würde ich Sie nur in Verlegenheit bringen.«
Alf nickte.
»Aber ich möchte Sie nach Mrs. Ridley-Smith fragen, weil … weil ich Bescheid wissen muss. Auch für Jocelyn ist das wichtig. Ich baue auf Ihr Verständnis. Womöglich geht es sogar um Leben und Tod.«
Nach einer kurzen Pause fügte ich hinzu: »Dorfgeheimnisse hin, Dorfgeheimnisse her.«
Daran, wie er meinem Blick auswich, merkte ich, dass er ins Wanken geriet.
»Sie sind ein echter Experte für alle Fragen, die das britische Militär betreffen. Das weiß ganz Bishop’s Lacey. Man nennt Sie ›das wandelnde Lexikon‹.«
»Ehrlich?«
»Ja.« Ich legte zwei gekreuzte Finger aufs Herz und streckte die andere Hand aus, damit er sah, dass ich den Schwur nicht hinter meinem Rücken heimlich wieder aufhob. »Es stimmt. Mrs. Mullet sagt das auch.«
Er wurde sichtlich weich.
»Du hast von der Schlacht bei Plassey gehört.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
Ich schüttelte nur stumm den Kopf. Nachdem er endlich in die Gänge kam, wollte ich ihn nicht gleich wieder unterbrechen.
»Und von Clive von Indien?«
Abermals schüttelte ich den Kopf.
»Empörend!«, sagte er. »Da müssen wir was gegen unternehmen, und zwar auf der Stelle!«
Was hatte das alles mit den Ridley-Smiths zu tun?
Ich hatte nicht die leiseste Ahnung.
18
D amals war Indien wie Himmel und Hölle in ’nem Kessel zusammengeschmissen und aufgekocht. Trotzdem wollten alle unbedingt dorthin – die Franzosen, die Holländer, die Portugiesen und, ja, auch die Engländer, und alle traten und bissen wie wild um sich, weil jeder die anderen ausstechen wollte. Von den Mohammedanern und Moguln ganz zu schweigen, die natürlich nicht hergeben wollten, was ihnen von Rechts wegen gehörte. Es gab mehr Kriege, als du an deinen Fingern und Zehen abzählen kannst, und dabei ging es um ein Land voller Schlangen, Elefanten, Löwen, Leoparden, Tiger, Flüsse, Berge, Monsune und Malaria.«
»Aber
Weitere Kostenlose Bücher