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Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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geholfen. Ich war damals noch ein kleiner Stöpsel, aber der alte Beatty hat sich immer gefreut, wenn er jemanden hatte, dem er seine alten Geschichten auftischen konnte. War ein guter Erzähler, der alte Beatty. Und die Ridley-Smiths haben große Stücke auf ihn gehalten. Der Richter hat ihn nach Indien mitgenommen, damit er sich dort um den Garten kümmert. Irgendwo außerhalb von Kalkutta war das. Wunderschöne Blumen, hat der alte Beatty immer gesagt. Wun-der-schön.«
    »Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Jetzt komme ich nicht mehr ganz mit. Hat Mr. Ridley-Smith denn in Indien gelebt?«
    »Als junger Mann, ja. Er war da so was wie ein Bezirksrichter. Dort hat er auch seine Frau kennengelernt. Ada hieß sie. Ihre Familie lebte schon ewig und drei Tage in Indien. Engländer natürlich, aber schon seit Generationen dort. Jocelyn ist in Indien zur Welt gekommen.«
    »Und seine Mutter?«
    »Die ist gestorben.«
    »Bei seiner Geburt?«
    »So hat’s mir der alte Beatty erzählt.«
    So war das also! Die Frau mit den traurigen Augen auf dem Foto an Jocelyns Wand war tatsächlich Mrs. Ridley-Smith.
    »War sie denn krank?«, hakte ich nach. »Ich meine, schon vor Jocelyns Geburt?«
    »Sie hatte es mit den Nerven. Hat sehr zurückgezogen gelebt. Hat die ganze Zeit mit ihren Soldaten verbracht.«
    Wieder beobachtete er mich gespannt.
    »Was denn für Soldaten?«
    »Zinnsoldaten. Tausende.«
    »Hat sie die für ihren Sohn gekauft?«
    »Nein. Ich hab doch gesagt, dass sie bei seiner Geburt gestorben ist.«
    »Vielleicht wollte sie ihm die Soldaten schenken, wenn er älter war.«
    Alf schmunzelte. »Nein. Die Figuren stammten aus ihrer eigenen Kindheit. Von ihren Militärvorfahren. Jeder von ihnen hatte die Sammlung vergrößert. War wohl eine Art Familienhobby.«
    »Soldaten!«, wiederholte ich ungläubig.
    »Ja, Soldaten.« Alf bückte sich und klaubte das Besteck Stück für Stück wieder vom Boden auf. Dann legte er die Messer, Gabeln und Löffel auf den Tisch in säuberliche Reihen und gab jeder einen Namen.
    »Das ist die erste Division. Das Erste Madras-Regiment. Das hier ist die zweite Division – Erstes Madras- und Bombay-Regiment. Die dritte Division, Seiner Majestät neununddreißigstes Infanterieregiment, und einer der Soldaten – Gott allein weiß, welcher – war Mrs. Ridley-Smiths Ur-ur-ur-oder-was-auch-immer-Großvater. Die vierte Division, das Bombay-Regiment – und hier haben wir noch zweitausend Sepoys, die einheimische Infanterie, das erste bengalische Regiment, Königliche Artillerie. – Das wär’s dann«, kam er zum Schluss. »Alle vollzählig angetreten.«
    »Und der Nawab? Mit seinen fünfzigtausend Kriegern?«
    »Die gab’s natürlich auch. Der alte Beatty meinte, sie hätte für jeden Einzelnen ’ne kleine Spielzeugfigur gehabt. Für jeden verfluchten Einzelnen.«
    Er wartete ab, bis ich diese Information verdaut hatte.
    »Heißt das …?«
    »Ganz recht, Frolleinchen. In einem eigens dafür eingerichteten Zimmer. Das hat sie immer abgeschlossen, wie eine Schatzkammer. Niemand außer ihr durfte da rein. Der alte Beatty hat auch nur davon gewusst, weil er mal geholt wurde, um sie rauszutragen, weil sie in Ohnmacht gefallen war. Dabei hat er natürlich die Gelegenheit genutzt und sich kurz umgeschaut.«
    Ich rutschte auf meinem Stuhl nach vorn und schaute ihn flehentlich an.
    »Sie hatte das Schlachtfeld von Plassey aufgebaut, wie ein Modell. Alles nach Maßstab. Das Ganze war riesengroß. Felsen, Hügel, Bäume aus Pfeifenreinigern. Der Bhagirathi war aus blau angemaltem Spiegelglas. Diese Inder sind sehr geschickt mit den Händen. Das ganze Zimmer war voll, von einer Wand zur anderen. Wunderschön, hat der alte Beatty gemeint.«
    »Und Mrs. Ridley-Smith?«
    »Die hat sich von früh bis spät dort eingeschlossen und die Figuren hin und her geschoben. Sie hat die Schlacht bei Plassey immer und immer wieder durchgefochten.«
    »Aber ihr Mann … der Richter … dachte er vielleicht, sie wäre …?«
    »Nicht ganz klar im Kopf? Das weiß keiner. Er spricht ihren Namen niemals aus.«
    Ich erschauerte. Erst später ging mir richtig auf, warum.
    »›Depressionen‹ heißt das ja wohl heutzutage. Damals nannte man es ›Schwermut‹.«
    »Und ihre Familie? Waren die anderen Mitglieder auch so?«
    »I wo. Die hat so schnell nix umgehauen, einer wie der andere. Seit anno Tobak Soldaten, Anwälte oder Nabobs in der Ostindischen Gesellschaft. Sie haben sich nicht viel um Ada und ihr Spielzeug

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