Fleischeslust - Erzaehlungen
und flach. Er reibt sich über den Stoppelbart, setzt sich auf und stellt die Bourbonflasche beiseite. »Sie meinen –?«
»Ich meine Sonntag, den Siebenundzwanzigsten, Mr. Laxner, zwölf Uhr mittags. In Ihrem Haus. Seien Sie da!«
Am Sonntag morgen ist Julian schon um sechs Uhr auf. Auf das religiöse Fernsehprogramm verzichtet er zugunsten der Zeitung. Er studiert jede der zweiundzwanzig Beilagen systematisch – einschließlich der Todesanzeigen, der persönlichen Mitteilungen und aller abstrusen Details der Wetterbedingungen in Rio, Jakutsk und Rangun –, womit er anderthalb Stunden totschlagen kann. Er hat seine Kleider gereinigt – zweimal inzwischen, im Waschbecken des Badezimmers, mit einem Stück Ivory-Seife –, und ehe er in sie hineinschlüpft, rasiert er sich mit einer Einwegklinge. Danach hat er ein halbes Dutzend Schnitte im Gesicht und sehnt sich nach dem verläßlichen Brummen und der sanften Liebkosung seines Braun Supersanft. Zum Frühstück vertilgt er einen pappigen Krapfen und Kaffee, der nach Galle schmeckt, dabei zappt er sich durch die Fernsehsender. Dann rasiert er sich nochmals und kämmt sich das Haar. Es ist 9.05 Uhr. Im Zimmer stinkt es nach Bratfett, Peperoni und Knoblauch, der triste Geruch seines Imbißlebens. Länger kann er nicht warten.
Unglücklicherweise verspätet sich das Taxi um eine Dreiviertelstunde, deshalb sind sie erst gegen halb elf auf der Autobahn. Zudem staut sich dort der Verkehr – Bauarbeiten, immer warten sie bis Sonntag mit ihren Bauarbeiten –, deshalb steht das Taxi sinnlos in einer endlosen Schlange aus schimmerndem Blech, bis der Fahrer irgendwann wütend in seinen Bart brummt und am Lenkrad reißt, um mit Vollgas den Seitenstreifen entlang- und die nächste Ausfahrt hinunterzurasen. Julian läßt es geschehen und erlebt eigenartig distanziert mit, wie sich das Taxi durch den Verkehr kämpft, und langsam kommen ihm die Straßen vertrauter vor. Schließlich biegt der Wagen um eine Ecke, und er ist da. Zu Hause. Sein Herz schlägt schneller.
Er weiß selbst nicht, was er erwartet – Beflaggung, eine Blaskapelle, eine vergnügte Marsha, die ihn auf der Eingangstreppe eines makellosen Hauses umarmt –, doch als er aus dem Taxi steigt, um sein Domizil zu begutachten, kann er sich eine gewisse Enttäuschung nicht verkneifen: das Haus sieht ziemlich genauso aus wie immer – graue Holzwände, weiße Kanten, die schmale, kärgliche Wolke der Bougainvillea, die sich an das Spalier über der Tür klammert. Doch dann fällt es ihm auf: der Rasenschmuck ist weg. All die polynesischen Tiki-Leuchten, die Neger aus Gips, die Flaggenhalter und der restliche Freiluftplunder – verschwunden, wie vom Auge eines tropischen Wirbelsturms verschluckt, und dafür ist er dankbar. Zutiefst dankbar. Einen Moment lang steht er reglos und staunend vor der weiten Fläche aus schlichtem, einfachem Gras, jeder einzelne Halm eine Offenbarung – daß der Rasen so groß ist, hätte er sich nicht träumen lassen. Das Grundstück sieht aus wie damals, als sie es kauften – und sich naiv fragten, ob es für sie beide nicht ein bißchen zu groß sei.
Er schlendert den Fußweg entlang wie ein potentieller Käufer, bewundert das Haus, bewundert es ehrlich, zum erstenmal seit Jahren. Wie sauber es aussieht, so flott und aufgeräumt! Sie ist ein Genie, denkt er, das ist sie, und dabei steigt er die Stufen zur Tür hinauf, mit den Schlüsseln klimpernd und summend – tatsächlich summend. Dann aber blickt er im Licht der rasch höher steigenden Sonne auf die Fenster und sieht, daß die Veranda leer ist – wie leergefegt, dort steht überhaupt nichts mehr –, und die Melodie bleibt ihm in der Kehle stecken. Das ist eine Überraschung. Eine echte Überraschung. Er hätte geglaubt, sie würde irgend etwas übriglassen – die Rattansessel, die Pflanzkübel, ein paar Lampen vielleicht –, aber sogar die Vorhänge sind weg. Ja, stellt er jetzt schockiert fest, an allen Fenstern fehlen die Vorhänge – und die Jalousien auch. Was hat sie sich dabei gedacht? Ist sie verrückt geworden?
Leise vor sich hin fluchend, stößt er den Schlüssel ins Schloß und will ihn umdrehen, doch nichts passiert. Er zieht ihn wieder heraus, wütend, ungeduldig, und mustert die Einkerbungen in der glänzenden Fläche: nein, es ist der richtige Schlüssel, derselbe, den er seit sechzehn Jahren benutzt. Noch einmal. Nichts. Er läßt sich nicht einmal drehen. Die Wahrheit, eine häßliche, erschreckende
Weitere Kostenlose Bücher