Flirt mit dem Tod
melden, wenn Ihnen das recht ist.«
Ihr Kunde stand auf und küsste ihr galant die Hand. »Nun, meine Liebe, Sie brauchen die Konkurrenz dieser jungen Dinger nicht zu scheuen. Es ist schade, dass Sie uns schon verlassen müssen. Ich hoffe doch sehr, morgen von Ihnen zu hören.«
Isabelle schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, drehte sich mit gekonntem Hüftschwung um und schwebte aus dem VIP-Bereich. Wenn sie alles richtig machte, konnte aus Charly Ehemann Nummer drei werden. Er war fast fünfzig, frisch geschieden und nicht unattraktiv. Also würde sie vorsichtig ihre Fühler ausstrecken.
In diese Gedanken versunken wartete sie, bis ihr Wagen gebracht wurde, und fuhr nach Hause. Als sie vor ihrem Stadthaus hielt, hatte sie einen fast narrensicheren Plan entworfen, mit dem sie Charly umgarnen würde. Zuerst musste sie den Kaufvertrag für die Luxuswohnung, für die er sich heute entschieden hatte, aufsetzen, damit er diesen am nächsten Tag unterschreiben konnte. Was wiederum ein nettes Sümmchen auf ihrem Konto bedeuten würde.
Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie ein Geräusch wahr. Sie wollte sich umdrehen, doch da wurde sie schon von hinten angegriffen. Ein Mann umklammerte ihren Oberkörper und hielt ihr mit der anderen den Mund zu. »Ganz langsam«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ich halte ein Messer an deinen Hals. Eine falsche Bewegung und du bist tot. Jetzt gehen wir schön langsam zu deiner Haustür.«
Sie wollte nicht sterben. Nicht heute. Nicht so. Alles um sie herum drehte sich in einer schwarzen Spirale. Doch dann setzte – ganz plötzlich – ihr Gehirn wieder ein. Wenn sie jetzt mit ihm in ihr Haus ginge, würde er sie entweder ausrauben oder vergewaltigen, und dann umbringen. Ihre Gedanken rasten. Sie durften das Haus nicht betreten. Wenn die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, war sie so gut wie tot.
Panik drohte, über ihr zusammenzubrechen. Sie bekam fast keine Luft mehr, weil sie so hektisch durch die Nase atmete. Sie war kurz davor, zu hyperventilieren. Ein paar zittrige, tiefere Atemzüge, und sie hatte sich etwas besser im Griff. Und dann war es wieder da. Im Bruchteil einer Sekunde erinnerte sie sich an das, was sie in dem einzigen Selbstverteidigungskurs gelernt hatte, den sie jemals besucht hatte.
Sie würde es zumindest probieren müssen. Schließlich hatte sie den Kurs extra belegt, weil sie sich abends oft allein mit Kunden in leer stehenden Häusern traf. Man hatte schließlich schon die grauenvollsten Geschichten über ermordete Maklerinnen gehört.
Sie atmete noch einmal ruhig durch die Nase ein und ließ sich dann schwer gegen ihren Kidnapper sinken, um ihm zu signalisieren, dass sie ihren Widerstand aufgab. Fast automatisch entspannte sich der Mann hinter ihr ebenfalls. Sollte er nur denken, sie wäre eine leichte Beute. Sie hatte ihren Autoschlüssel noch in der Hand. Fieberhaft suchte sie nach der Nagelfeile, die am Schlüsselring befestigt war. Als sie sie ertastete, umfasste sie sie so fest sie konnte. Sie riss den Arm nach oben und stieß die Feile hinter sich.
Sie traf ihn, einen Moment lang ließ der Angreifer locker. Ob aus Schmerz oder Überraschung wusste sie nicht, aber das war ihr auch egal. Mit aller Macht trat sie ihm mit ihrem Stilettoabsatz auf den Fuß und riss sich los. Bevor sich der Mann von der Überraschung erholte, hatte sie sich bereits zu ihm umgedreht und ihm das Knie in den Familienschmuck gerammt.
Sie schrie, wie sie es in dem Kurs gelernt hatte. So laut und so schrill sie konnte. Das sollte laut Kursleiter den Angreifer abschrecken. Vielleicht tat es das bei anderen, bei diesem hier war es nicht der Fall. Er brüllte vor Schmerz und Wut. Und dann warf er sich auf sie. Gemeinsam gingen sie zu Boden.
Isabelle konnte ihren Kopf nicht vor dem Aufprall schützen. Sie schlug auf den Asphalt des Gehweges vor ihrem Haus. Wütend dachte sie, dass sie – verdammt noch mal – noch nicht bereit war, abzutreten. Dann wurde alles um sie herum schwarz.
*
Phillip Cunnings konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal eine ganze Nacht durchgeschlafen hatte. Meist protestierten seine arthritischen Knochen irgendwann nach zwei Uhr morgens zu sehr. Wenn er nicht mehr liegen konnte, quälte er sich aus dem Bett und setzte sich in seinen Lehnsessel im Wohnzimmer, wo er die Zeitung vom Vortag noch einmal durchblätterte oder einen Schwarz-Weiß-Film anschaute, der ihn an die alten Zeiten erinnerte, die
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