Flowertown - Die Sperrzone
voller Kehle. »An der Absperrung. Es gibt nichts bis nächste Woche.«
Jemand musste einen Korb geworfen haben, denn der Tumult am anderen Ende des Tresens wurde noch ohrenbetäubender. Wohl wissend, woher ihre Einnahmen kamen, wandte sich die Barfrau wieder dem Chaos zu. Ellie verabschiedete sie mit einem Winken. Zuerst Bings Suppe, nun die Snacks in der Bar. Die Gerüchte innerhalb der Zone besagten, dass nur ein Sattelschlepper umgekippt war, aber der schien eine ganz schön große Menge Vorräte geladen zu haben.
Das Bier schwappte in Ellies Magen und sie freute sich über die Cracker. Sie rubbelte sich mit den Händen über das Gesicht und es fühlte sich so an, als seien ihre Augäpfel zu groß für ihre Höhlen. »Würde es so sein?«, fragte sie sich. Würde sie sich nun von Tag zu Tag, von Minute zu Minute, schlechter fühlen? Das Mobiltelefon in ihrer Hosentasche summte, aber sie wollte nicht nachschauen. Sie hatte nicht aufgepasst, als der Apotheker ihr erklärt hatte, wie oft sie die ELQ-Medikamente nehmen musste. Sollte das eine weitere Erinnerung sein, wollte sie die Nachricht einfach ignorieren. Aber die Neugier war stärker. Sie holte ihr Mobiltelefon hervor und berührte das Display. Diese Nachricht war von Guy. »KW1 bis zehn. Allein.«
Ellie setzte ihr Glas an und trank das Bier in ein paar langen Schlucken aus. KW1 bedeutete Kraftwerk eins, weniger als sechs Blöcke von der Bar entfernt. Wenn sie sich auf ihre Erinnerung verlassen konnte, dann gab es dort einen recht ordentlich großen Aufenthaltsraum für das Wachpersonal und die Arbeiter, obendrein eine Dusche, die fast immer funktionierte, von einer ziemlich anständig großen Pritsche ganz zu schweigen. Sie rülpste und sackte ein paar Cracker für unterwegs ein. Etwas Kontrolle über ihre Lebensqualität besaß noch immer sie selbst, trotz aller Medikamente.
Bevor sie die Tür erreicht hatte, brach die Menge am Tresen wieder in Lärmgeschrei aus, aber dieses Mal klang es nach wütenden Rufen und kreativen obszönen Schimpfwörtern. Ellie schaute über ihre Schulter zurück und erwartete, irgendeinen Schiedsrichter zu sehen, der von aufgebrachten Fans beschimpft wurde. Aber stattdessen füllte der Trailer für einen neuen Actionfilm den Bildschirm aus. Im Internet hatte sie Werbung dafür aufblitzen sehen, aber das hier war der erste, richtige Trailer. Den vielen, auf den Fernseher gerichteten gestreckten Mittelfingern nach zu urteilen, stand sie mit ihrer Meinung über ihn nicht alleine da.
Der Film hieß »Das Leck«, und nachdem, was sie sich zusammenreimen konnte, handelte er von einer Gruppe Terroristen, die aus Flowertown entkommen waren, um, aus Gründen, die nur die Deppen in Hollywood für glaubhaft hielten, Chicago oder New York oder eine andere Stadt, die wichtiger als Iowa war, zu infizieren. Es war ein himmelschreiend empörender Plot und eine enorme Beleidigung für alle Menschen, deren Leben für so viele Jahre eingeschränkt worden war, ohne dass sie dafür irgendeine Schuld getragen hätten. In Flowertown waren Verwahrung und Verseuchung mehr als nur Schlagwörter. Jeder hatte durch den Chemieunfall irgendjemanden verloren, und keiner vertrug die Therapiemedikamente problemlos. Wenn Ellie daran dachte, was die Andeutung, dass irgendjemand aus Flowertown den Rest des Landes vorsätzlich demselben Leid aussetzen wollen würde, nach sich ziehen konnte …
Die Menge jubelte wieder. Der Bildschirm war schwarz, als habe er sich dem kollektiven Willen gebeugt. Die Leute klatschten sich ab und freuten sich, den verhassten Trailer nicht mehr sehen zu müssen. Auf den schwarzen folgte ein blauer Bildschirm, dann erschien ein Rolltext mit technischem Jargonund schließlich das eingefrorene Logo des Fernsehsenders. Jemand hatte den Trailer unterbrochen. Mitten in den Playoffs der College Basketballsaison. Ellie wusste, wie teuer es war, eine Fernsehwerbung während der Playoffs zu platzieren. Das war ein ziemlich kostspieliger Fehler, den da jemand begangen hatte. Sie drehte sich um, verließ die Bar und dachte an die Tage in der Werbebranche zurück, als es stets jemanden gegeben hatte, der andere Leute zusammenschiss. Mit der Person, die für diesen Fehler zur Verantwortung gezogen werden würde, wollte sie nicht tauschen, dachte sie. Dann trat sie auf die Straße, wo es nach Regenwasser-Entgiftungsmittel roch. Nein. Sie würde sofort mit diesem Scheißebauer tauschen. Sofort.
Mehr noch als Guys Körper wollte sie eine Dusche.
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