Flug in Die Nacht
antwortete Stone, »und damals hab’ ich sie einberufen. Letztes Jahr sind in Manila kurz vor den Wahlen solche Unruhen ausgebrochen, daß ich dachte, Clark würde überrannt werden. Ich mußte General Collier von den Pacific Air Forces in den Hintern treten, damit er was unternimmt. Ich hab’ solchen Krach geschlagen, daß sogar der Oberbefehlshaber Pazifik davon gehört hat, aber er hat endlich angerufen, und wir haben die Unterstützung bekommen, die wir brauchten.«
»Ja, ich erinnere mich gut«, sagte Tyler. »Für mich steht fest, Rat, daß Clark wie unsere Botschaft in Teheran im Jahre 1979 hätte aussehen können. Die Entsendung von Einheiten des Marinekorps nach Luzon ist zwar im Pentagon und in der Presse als Overkill kritisiert worden, aber sie hat bestimmt Schlimmeres verhütet.«
»Klar doch.« Stone zuckte mit den Schultern. »Und ich bin dafür gerüffelt worden.«
»Was Besseres als die Versetzung aus den Pacific Air Forces zum SAC hätte Ihnen gar nicht passieren können, Rat«, behauptete Tyler. »Sie wissen genau, daß jeder sich daran erinnern wird, daß Sie der letzte Kommandeur der Clark Air Force Base gewesen sind. In den PACAF wäre Ihnen dieses Stigma geblieben und hätte Ihre Beförderungschancen verringert. Hier im SAC bekomme ich einen Fachmann für den Pazifikraum – und Sie kriegen ‘ne faire Chance, sich den dritten Stern zu verdienen.«
Über Funk wurde eine verschlüsselte Mitteilung verlesen, aber Tyler stellte das Gerät leiser. »Sie hören die Meldungen nicht mit?« fragte Stone.
»Die sind für meine Besatzungen, nicht für mich«, antwortete Tyler. »Daraus Schlüsse ziehen zu wollen, bringt einem bloß Magengeschwüre ein. Ich versuche jetzt, locker zu bleiben, denke daran, was ich zu tun habe, und überlege mir, was ich hören werde, wenn der Gefechtsstab zusammentritt.«
»Und dazu wird der gesamte Stab zusammengeholt?«
»Richtig«, bestätigte Tyler und hielt sich fest, als Meers scharf um eine Ecke bog und dann die Sirene einschaltete, um rascher voranzukommen. »Um diese Tageszeit ist das kein Problem. Aber um ein, zwei Uhr morgens kann’s ganz schön schwierig sein.«
»Wie oft kommen solche Benachrichtigungen?«
»In letzter Zeit seltener«, gab Tyler zu. »Früher sind die meisten schon im Vorfeld abzusehen gewesen. Man brauchte nur Zeitung zu lesen, um zu wissen, wann wieder mal ein Zero-Tango fällig war. Aber heutzutage gibt’s Gott sei Dank immer weniger Krisen.«
Sie näherten sich dem SAC-Hauptquartier – einem unauffälligen Gebäude zwischen anderen niedrigen Bauten.
Deshalb unauffällig, weil es nur drei oberirdische Geschosse aufwies – und dafür fünf unter der Erde. Vor dem Gebäude stand eine Minuteman I zur Erinnerung an die vielen tausend SAC-Angehörigen, die bis zu einem Drittel ihrer Dienstzeit inständiger Alarmbereitschaft zubrachten und sich bei ihren Flugzeugen, in unterirdischen Raketenkomplexen oder fensterlosen Befehlsbunkern für den Fall bereithielten, daß die Abschreckung versagte … für den Fall bereithielten, daß sieden Dritten Weltkrieg führen mußten.
Stone sah auch die Trauerweide auf dem Rasen vor dem SAC-Hauptquartier, und ihr Anblick erschien ihm wie eine Ironie des Schicksals. Fünfzehn Meter unter dieser einsamen Trauerweide waren Männer und Frauen bereit, auf Befehl des Präsidenten, des Verteidigungsministers und des Mannes, der hier neben ihm im Auto saß, Tausende von Megatonnen mit unheimlicher Präzision über Zielen in aller Welt detonieren zu lassen. Der Standort der Trauerweide war sogar ein bißchen absurd, denn vermutlich hatten mehrere Staaten ihre Atomwaffen auf eben diesen Punkt gerichtet, um im Kriegsfall zwei Drittel des von dort aus kontrollierten Atomwaffenarsenals ausschalten zu können.
Kein Wunder, daß Tyler vorhin sein Funkgerät ausgeschaltet hat, dachte Stone. Selbst in diesen relativ friedlichen Zeiten konnte die Vorstellung, das Ziel des ersten anfliegenden Gefechtskopfes zu sein, einen Mann zum Wahnsinn treiben.
»Zehn, Sergeant Meers«, sagte Tyler zu seinem Fahrer.
»Verstanden, Sir.«
»Tragen Sie den Ausweis deutlich sichtbar und bleiben Sie hinter mir, Rat«, forderte Tyler Stone auf. »Wahrscheinlich müssen wir Sie in die ›Presseloge‹ stecken, aber Sie dürfen selbstverständlich mit in die Kommandozentrale. Sie wird Ihnen imponieren – was immer uns dort erwartet.«
Stone blinzelte den Viersternegeneral erstaunt an. »General, soll das heißen, daß Sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher