Flug in Die Nacht
jüngsten Vorfälle auf den Philippinen haben in meinem Land große Besorgnis ausgelöst.«
»Ich darf Ihnen versichern, Genosse Botschafter«, lautete die übersetzte Antwort, »daß die Volksrepublik China der Republik Vietnam gegenüber nur freundschaftliche Gefühle hegt. Unsere Streitkräfte werden im fraglichen Gebiet keine vietnamesischen Schiffe oder Einrichtungen gefährden. In dieser Beziehung gebe ich Ihnen mein Wort als Ministerpräsident.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Versicherung, Genosse Ministerpräsident«, antwortete Leing mit einem raschen Blick zu Chin hinüber, um zu sehen, ob der General sich ihr anschloß. Das war leider nicht der Fall. »Sie ist wichtig, weil chinesische Kriegsschiffe, die im gesamten Spratly-Archipel patrouillieren, auf Schußweite an vietnamesisch besiedelte Inseln herankommen. Meine Regierung wird erleichtert zur Kenntnis nehmen, daß diese Schiffe keine Bedrohung darstellen.«
Nun ergriff General Chin das Wort, ohne den Ministerpräsidenten um Erlaubnis zu bitten. »Ich versichere Ihnen, daß sich kein chinesisches Schiff den Inseln nähert, die von Vietnam beansprucht werden, oder Schiffe Ihrer Kriegsmarine in irgendeiner Weise stört«, sagte er durch den Dolmetscher. Botschafter Leing nickte knapp. Aber er wußte natürlich, daß diesen beiden Männern nicht zu trauen war, was sie auch sagten. Taten sprachen lauter als Worte, und bisher zeichnete sich ab, daß die chinesische Kriegsmarine auf den Spratlys zu bleiben gedachte.
»Vermute ich also richtig, Genosse General, daß chinesische Kriegsschiffe unter Bruch internationaler Abkommen weiterhin nördlich der neutralen Zone patrouillieren werden ?«
»Wir sind von der philippinischen Regierung gebeten worden, ihr bei Fragen nationaler Selbstverteidigung behilflich zusein«, sagte Chin. »Dazu gehört auch, daß wir ihre Inseln auf Anzeichen für militärische Aktivitäten der Rebellen kontrollieren. Damit wahren wir auch Ihre Interessen, weil diese Aktivitäten sich als für alle Staaten gefährlich erwiesen haben.«
Lügen! dachte Leing, während er sich bemühte, weiter ein ausdrucksloses Gesicht zu machen. Alle Welt weiß, daß in der Palawan-Straße eine chinesische Atomwaffe detoniert ist. Ob sie wirklich glauben, daß ich ihnen dieses Märchen abnehme?»Meine Regierung erkennt natürlich an, daß Ihre Ausführungen richtig sind. Genosse General«, antwortete Leing, »aber sie würde es vorziehen, wenn internationale Abkommen strikt eingehalten werden.«
»Die Vertragsbestimmungen sind durch die neueste Entwicklung überholt«, stellte Außenminister Zhou Ti Yanbing fest. »Nach der Atomexplosion waren wir der Ansicht, unsere Seestreitkräfte im Südchinesischen Meer seien erheblich gefährdet und müßten daher verstärkt werden.
Gleichzeitig sind wir von der philippinischen Regierung gebeten worden, sie bei der Niederschlagung eines vermuteten Staatsstreichs und der Abwehr von Angriffen rebellierender Truppen zu unterstützen. Das sind die Tatsachen, das ist die Wahrheit.«
Aber nicht die ganze Wahrheit, sagte sich Leing. Schließlich hatten die Chinesen die Atomwaffe eingesetzt und stellten dadurch die größte Gefahr für alle benachbarten Staaten dar.
Die Entwicklung auf den Philippinen hatte ihnen nur die Chance gegeben, ihre lange gehegten Expansionsträume zu verwirklichen …
»Inzwischen ist die Situation für uns und die von diesem Vorfall betroffenen Staaten noch labiler geworden«, fuhr Zhou fort. »Wir sind uns darüber im klaren, daß dies neue Prioritäten und neue Bindungen zwischen den beteiligten Staaten erfordert – vor allem zwischen China und Vietnam.«
»An was für Bindungen denken Sie dabei. Genosse Außenminister?«
Zunächst entstand eine Pause, in der Leing die gespannte Atmosphäre zwischen General Chin und Ministerpräsident Cheung wahrnahm. Dann sprach Cheung, und der Dolmetscher übersetzte: »Wir sind bereit, mit der Republik Vietnam einen unwiderruflichen Vertrag zu schließen, der ihr für neunundneunzig Jahre das Recht einräumt, alle Nansha-Inseln zu besetzen und zu verwalten.«
Leing war im ersten Augenblick sprachlos. »Ich … Genosse Ministerpräsident, wenn Sie Ihren Vorschlag bitte wiederholen würden … «
General Chin brauste auf, und Cheung fertigte ihn ab, ohne zu ihm hinüberzusehen. »Der General hat Protest angemeldet, aber der Ministerpräsident hat ihm das Wort entzogen«, flüsterte Leings Dolmetscher ihm ins Ohr.
»Sie haben bestimmt richtig
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