Flut: Roman (German Edition)
Schritte entfernt hatte und – vermutlich, aber keineswegs sicher – außer Hörweite war, dann drehte er sich mit einem Ruck herum und entfernte sich um einige Meter. Nach kurzem Zögern folgte ihm Rachel. »Ich muss Sie noch einmal um Ihre Hilfe bitten«, sagte er und zog die Pistole aus dem Gürtel. Rachel blickte irritiert auf die Waffe hinab.
»Keine Angst.« De Ville lächelte und ermunterte sie zugleich durch eine Bewegung, nach der Pistole zu greifen. Rachel wich jedoch ganz im Gegenteil einen halben Schritt zurück und ließ demonstrativ die Hände sinken.
»Bitte nehmen Sie sie«, beharrte De Ville. »Nur zu Ihrem eigenen Schutz. Ich muss Sie einen Moment allein lassen. Ich werde versuchen, irgendwo einen Wagen zu finden, und ich kann niemandem hier außer Ihnen vertrauen.«
»Ich vertraue Benedikt.« Rachel wurde ein wenig zornig. »Was soll er denn noch tun, um zu beweisen, dass er auf unserer Seite steht?«
»Es können tatsächlich noch ein paar von Darkovs Männern am Leben sein«, beharrte De Ville. Rachel entging keineswegs, dass er das Thema Benedikt geflissentlich überging. »Und vielleicht auch andere.«
»Andere?«
»Die Welt bricht auseinander«, sagte De Ville ernst. »Die Menschen spüren das Ende und sie tun vielleicht Dinge, die sie sonst niemals tun würden. Trauen Sie niemandem.« Er wiederholte seine auffordernde Geste mit der Waffe. »Und … passen Sie auf Petrus auf, bitte.«
Es kam Rachel geradezu absurd vor, dass De Ville diese Bitte mit einer geladenen Waffe in der Hand äußerte, aber sie spürte auch, wie schwer es ihm fiel, die Worte überhaupt auszusprechen. Nicht, weil sie auch nur im Entferntesten daran dachte, sie benutzen zu müssen, sondern einzig, um ihn zu beruhigen, griff sie nach der Pistole, die De Ville ihr hinhielt, und schob sie unter den Hosenbund.
»Danke«, sagte De Ville leise. »Ich bin bestimmt schnell zurück, aber es ist besser, wenn Sie sich irgendwo verstecken. Bleiben Sie auf dieser Seite der Straße, damit ich Sie finde, wenn ich zurückkomme.« Und damit ging er so schnell davon, dass Rachel keine Gelegenheit mehr blieb, ihn noch einmal zurückzuhalten oder eventuell sogar ein Argument zu finden, dass es ihm unmöglich machte zu gehen. Hilflos sah sie ihm nach, bis ihn das graue Zwielicht verschlungen hatte, dann drehte sie sich herum und ging zu Benedikt zurück.
»Was wollte er?«, fragte Benedikt. »Dich davon überzeugen, dass du mir besser nicht vertraust?«
»Er sucht einen Wagen«, antwortete Rachel gezwungen ruhig.
»Wenigstens eine gute Idee«, murrte Benedikt.
»Ich verstehe überhaupt nicht, wo all die Leute sind«, sagte Rachel. Sie deutete auf die lange Reihe dunkel daliegender Häuser zu beiden Seiten der Straße, aber Benedikt gab nur einen sonderbar grunzenden Laut von sich, der wohl so etwas wie ein Lachen darstellen sollte.
»Was erwartest du wohl? Was würdest du tun, wenn vor deinem Haus Granaten explodieren, ein Bus in die Luft fliegt und Leute mit Maschinenpistolen aufeinander schießen?«
»Weglaufen oder mich verstecken«, sagte Rachel. Es war eine dumme Frage gewesen.
Benedikt nickte. »Und auch ganz bestimmt nicht hinausgehen und nachsehen, ob ich jemandem helfen kann«, sagte er. Er machte eine Kopfbewegung auf Tanja und Frank. »Kümmere dich um sie. Ich passe auf den Papst und auf meinen Vater auf. Die beiden haben sich bestimmt eine Menge zu erzählen und ich möchte nicht, dass sie vor lauter Wiedersehensfreude die Zeit vergessen.«
»Und was geschieht mit ihnen?« Rachel deutete auf die beiden verwundeten Männer.
Benedikt dachte einen Moment lang nach und hob dann die Schultern. »Wir können sie nicht mitnehmen«, sagte er. »Selbst wenn ich es wollte, ich könnte sie nicht beide tragen.« Er überlegte einen Moment, dann drehte er sich herum, hob den reglos daliegenden Söldner mit einiger Anstrengung auf die Arme und trug ihn an den Straßenrand, wo er ihn dicht neben den verletzten Soldaten aus Torbens Garde ins Gras legte. Der Mann wachte nicht auf, aber Rachel sah, dass sich seine Brust in regelmäßigem Takt hob und senkte. Wenigstens lebte er noch. Ihr war klar, dass Benedikt die Wahrheit sagte – sie hatten weder die Möglichkeit noch die Zeit, sich ausreichend um die beiden Verletzten zu kümmern oder sie gar mitzunehmen. Aber sie hier zurückzulassen bedeutete ihr sicheres Todesurteil.
Der Gedanke erfüllte sie mit einer tiefen Verzweiflung. Es gab absolut nichts, was sie tun konnte,
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