Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)
nach einem guten Geldversteck zu suchen. Es fand sich in einer nicht einsehbaren Nische im Gemäuer. Bis zur Wende sollte ich mich noch mehrmals aus diesem geheimen Depot bedienen, ohne es ganz auszuschöpfen. Von dem Rest, der mir im Juli 1990 einen ungeplanten Spekulationsprofit von fast hundert Prozent bescherte, kaufte ich C. und M. einen kleinen Fernseher. Doch weil sie ein solches Gerät gar nicht vermisst hatten, baten sie mich, es weiterverschenken zu dürfen.
Am Nachmittag kamen B. und ihr Mann zum Kaffee. Hatte mich an den drei anderen Familienmitgliedern geradedas angesprochen, was mir selbst fehlte, so erkannte ich in ihr sofort eine Geistesverwandte. Vielleicht lag das sogar an der Distanz zu ihren Eltern, die deutlich zu spüren war, ohne dass sie – anders als bei mir – auch nur den geringsten Zug von Unbedingtheit ahnen ließ. Wo S. sich ohne jede Unterwürfigkeit blind mit seinen Eltern zu verstehen schien, da setzte seine Schwester immer wieder schöne Kontrapunkte, die mal spöttisch, mal ernst, aber immer sehr lebhaft und niemals bösartig waren. Im Konzert ihres Gesprächs gaben die vier das Bild einer Familie ab, in der jeder so sein durfte, wie er wollte. Mich rührte das, und zugleich machte es mich traurig. Von einem solchen Zusammenhalt in Freiheit konnten wir West-Leos nur träumen. Selbst B.s Mann trübte diesen Eindruck nicht, obwohl er unverhohlen zu erkennen gab, dass er das Kaffeetrinken mit uns als Zumutung empfand. Den ganzen Nachmittag über rang er sich höchstens drei Sätze ab; meine Erinnerung behauptet sogar, dass er selbst auf manche Fragen einfach stumm blieb. Augenscheinlich nicht erfreut von diesem Verhalten, nahmen C. und M. es mit bewundernswerter Gelassenheit hin. Sie intervenierten nicht. Vor dem Treffen war uns nur mitgeteilt worden, dass ihr Schwiegersohn sich trotz ausbleibenden Erfolgs mit großer Ausdauer als Schriftsteller versuche. Vielleicht hätte man in dieser Charakterisierung schon eine Andeutung auf das finden können, was C. nachher eine »nicht immer ganz einfache Beziehung« nannte. Doch manche Dinge seien eben, wie sie seien. Und wenn man sie geschehen ließ, das war mir von unserem kurzen Gespräch am Vorabend in Erinnerung geblieben, würden sie einem vielleicht auch irgendwann etwas sagen.
Am Sonntag besuchte ich B. Die Dinge in ihrer Wohnung waren beeindruckend sicher gewählt und an ihren Platzgestellt, doch zugleich waren sie so erkennbar in Gebrauch, dass sich jeder Gedanke an eine »Einrichtung« von selbst verbat. Auch die Unterhaltung mit B. gefiel mir sehr. Dazu mussten wir nicht mal besonders persönlich werden, sie gehörte einfach zu den Menschen, mit denen sich gut zu zweit sein ließ. Nachdem wir Tee getrunken hatten, setzte ich meinen Fotospaziergang fort. Einen ganzen Film hatte ich schon auf der Ruine der Frauenkirche verschossen, nun wurde der andere von den Straßen und Hinterhöfen in B.s Nachbarschaft verschlungen. Vergilbte Schriften und Hängeschilder über ehemaligen Ladenlokalen, alternder Altbau, berghohe Brandmauern, Armeen matt verzinkter Mülltonnen, tanzendes Laub in einer Luft, die sich zwischen kalt und warm nicht entscheiden konnte – ich schwebte durch die Neustadt. Währenddessen stieg mein Vater, vermutlich schwitzend, in den Stadtteil Weißer Hirsch hinauf, um Onkel Martin und Tante Hannelise im Altenheim zu besuchen.
»Schade, dass du nicht mitgekommen bist«, sagte er später, als wir wieder im Auto saßen. »Die beiden hätten sich sicher sehr gefreut.«
»Ich kenne sie doch fast gar nicht.«
»Aber B. wirst du noch oft besuchen können, Onkel Martin wohl nicht. Er ist sehr alt geworden.«
Wir fuhren durch die Dämmerung. Die gleiche Strecke, die gleiche Landschaft, doch wie es sich für eine gute Reise gehört, erinnerte nichts an die Stimmung der Hinfahrt. Ich fühlte mich erfrischt und verwandelt, mein Vater wirkte so gelöst wie schon lange nicht mehr. Der Tacho zeigte satte 120 Stundenkilometer an.
»LPG übrigens«, sagte er nach einer Weile.
»Wie bitte?«
»LPG. Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften.«
»Was in der UdSSR Kolchose heißt?«
»Genau.«
»Ja, und?«
»Die Felder. Du wolltest doch wissen, warum die Felder so groß sind. Und ob das was mit Kommunismus zu tun hat. Hat es: Kollektivbewirtschaftung.«
»Ach so, stimmt. Danke«, sagte ich, während ich auf die Uhr sah. »Oh, kurz nach sieben, guck doch mal, ob du schon Bayern 2 reinkriegst.«
»Müssten eigentlich nah
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