For the Win - Roman
letzten Wochen von 20000 auf über 100000 gestiegen. Ihre Tage und Nächte verbringen sie in sogenannten Multiplayer-Onlinespielen, in denen sie auch ihr Geld verdienen. Damit verletzen sie aber das Monopol der Spielefirmen auf jede Form der Wertschöpfung in ihren Spielen. Ihre Ernte verkaufen die »Goldfarmer« dann an wohlhabende Spieler in Amerika, Europa und anderen Industrienationen. Die Spielefirmen betonen die Gefahr, dass ihre sorgfältig austarierte Spielwirtschaft dadurch Schaden nehmen könnte …
Wei-Dong überflog den Rest des Artikels. Es war zwar spannend, in einer Zeitung seiner Mutter von den Webblys zu lesen, aber diese Journalisten stellten sich einfach so … altmodisch an. Alles musste erklärt werden.
Dann hielt er inne und scrollte wieder nach oben.
… der geheimnisvollen und einflussreichen Moderatorin Jiandi und ihrem Piratensender. Ihre Zuhörerschaft soll sich auf viele Millionen belaufen, wodurch die Spieler sich in einer unverhofften Allianz mit traditionellen Fabrikarbeitern wiederfinden. Dasselbe Phänomen lässt sich Berichten zufolge momentan im ganzen Pazifikraum verfolgen, insbesondere in Indonesien, Malaysia, Kambodscha und Vietnam, auch wenn bisher unklar ist, ob es sich bei den dortigen Verbänden der »IWWWW« um reine Trittbrettfahrer handelt oder sie wirklich Teile derselben Organisation sind.
Wei-Dongs Blick wanderte zu der Matratze, wo Lu und Jie nach der letzten Sendung zusammengeklappt waren. Jies schlafendes Gesicht wirkte täuschend jung. War sie wirklich diese berühmte Moderatorin, von der seine Mom – Mom , auf der anderen Seite der Welt, in Los Angeles – in der Zeitung las?
Es gab noch seitenweise andere Meldungen, doch es war vor allem die Erwähnung von »Unruhen« auf den internationalen Märkten, die seine Aufmerksamkeit erregte. Aktien, Anleihen, die Kurse waren eine einzige Berg-und-Tal-Bahn. Er verstand nicht sonderlich viel von so was (immer, wenn es ihm jemand zu erklären versucht hatte, waren ihm fast die Augen zugefallen), doch es war klar, dass ihre Aktionen eine Wirkung hatten, eine enorme Wirkung, und zwar weltweit.
Fast hätte er laut gelacht, doch er hielt sich zurück. Matthew schlief nur ein paar Zentimeter entfernt, und er hatte 22 Stunden am Stück die Streikenden beschützt, ehe er aus den Socken gekippt war. Wei-Dong hatte zwar auch gekämpft, in erster Linie war er jedoch damit beschäftigt gewesen, seine kleine Liste wohlgesinnter Insider zu erweitern. Trotzdem sollte er schlafen, statt mit seinem Laptop rumzuklappern. In sechs Stunden hieß es weitermachen, mit nichts als etwas Reisbrei und ein paar Teigtaschen im Bauch.
Er klappte sein Laptop zu und streckte die Arme aus, wobei ihm der strenge Geruch seiner Achseln nicht entging. Die einzige Dusche mit ihrem gefährlich wirkenden elektrischen Durchlauferhitzer reichte nicht für alle Webblys in der Wohnung, und er hatte zwei Tage nicht mehr geduscht. Er war auch nicht der Einzige. Die Wohnung roch wie die Umkleide seiner alten Schule oder das Obdachlosenheim, an dem er in L.A. oft vorbeigekommen war.
Irgendwo in der Nähe hörte er das leise Zirpen eines Handys. Schläfrig tastete Jie nach der kleinen Handtasche neben ihrem Kissen. Sie fand das Handy und nahm den Anruf entgegen. »Wei?«
Dann riss sie die Augen so heftig auf, dass Wei-Dong fast die Lider flattern hörte und das Weiße in ihnen sah. Sie sprang auf und rief etwas, so schnell, dass er ihr Chinesisch zunächst gar nicht verstand.
Dann aber begriff er: »Die Polizei! Schon fast vor der Tür! LOS LOS LOS !«
58 Webblys schliefen in ihrem Versteck, doch in Sekundenschnelle waren alle aufgesprungen. Die meisten waren bereits angezogen und schlüpften schon in ihre Schuhe. Dann warfen sie sich Taschen mit ihren Daten und persönlichen Gegenständen um und drängten hinaus auf den Flur. All das ging beinahe lautlos vonstatten – nur gelegentlich hörte man sie flüstern oder fluchen, wenn sie einander auf die Zehen traten. Ein paar versuchten durchs Fenster oder sogar über den Balkon des gegenüberliegenden Gebäudes zu fliehen, doch dann schallten die ersten Rufe von der Straße zu ihnen hinauf. Die Polizei hatte sie entdeckt!
Er schloss sich dem Strom der Flüchtenden an und quetschte sich mit hinaus auf den Flur. Draußen aber rannte er in eine andere Richtung als der Rest, denn er hatte Jie und Lu dorthin fliehen sehen, und Jie schien den Überlebensinstinkt einer Stadtratte zu haben. Wenn sie dort entlang
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