Forstchen, William
»Nur zu, ich lebe ohnehin länger, falls Sie mich einsperren!« war ihm schon bei zahllosen Disziplinarverfahren begegnet.
Noch etwas anderes spielte da hinein. Er konnte nicht umhin, Menschen zu bewundern, die tatsächlich flogen. Auch auf seiner Galauniform prangten die Schwingen eines Piloten an der rechten Brust – zu Ehren seines Ballonfluges in jener verzweifelten Nacht, als er aus Suzdal davonschwebte, um den Damm oberhalb der Stadt hochzujagen und dadurch die Tugarenhorde zu vernichten, die gerade in die unteren Stadtviertel stürmte. Dieser eine Flug reichte ihm fürs ganze Leben, und er spürte, dass dies Angehörigen des Fliegerkorps wussten: Sie konnten ihm gegenüber Grenzen überschreiten und damit durchkommen.
Fjodor blickte stolz auf das Luftschiff. »Himmel, ist das eine Schönheit! Die Flying Cloud, derselbe Name wie mein erstes Schiff. Sie ist so modern! Wir haben sogar ein Loch im Boden, um direkt auf die Köpfe der verdammten Bantag losgehen zu können.«
»Wann ist sie bereit?«, erkundigte sich Vincent.
»Zunächst möchte ich die Triebwerke am Boden testen. Dann nehmen wir sie auseinander und überprüfen alles. Außerdem sollten wir ohnehin einen Tag lang abwarten. Es wird mit Sicherheit Lecks geben. Wir hängen Gewichte an, damit sie herabsinkt, und lösen sie wieder. Am nächsten Morgen wiederholen wir den Vorgang und sehen dabei, wie viel Auftrieb verloren gegangen ist. Die Werftarbeiter, die sie gebaut haben, sind aber gut. Ich denke, sie wird alle Prüfungen prima überstehen.
Vielleicht unternehmen wir schon morgen Nachmittag einen kurzen Rundflug von etwa einer Stunde Dauer. Dann überprüfen wir erneut alles. Dann ein weiterer Flug, diesmal drei oder vier Stunden lang mit hohem Tempo gegen den Wind und wieder zurück, um die Fluggeschwindigkeit zu berechnen. Auch das wiederholen wir, prüfen aufs Neue die Triebwerke, wiegen mögliche Gasverluste. Ich denke, in sieben oder acht Tagen sind wir bereit für den Start, falls wir gutes Wetter haben.«
Vincent musste an das Telegramm in seiner Tasche denken. Der Nachricht zufolge plante Andrew in sieben Tagen erneut hier zu sein. Der Grund war offensichtlich: Falls etwas schiefging, wollte Andrew zur Stelle sein und die Schuld auf sich nehmen.
»Geht es nicht schneller?«, fragte Vincent.
»Na ja, Sir, möglicherweise, aber das hier ist das einzige Schiffseiner Art. Sollten wir es verlieren, dauert es Monate, bis wir ein neues haben, falls überhaupt jemals.«
»Tun Sie, was Sie können. Ich sähe Sie gern früher unterwegs, falls irgend machbar.«
»Warum, Sir?«
»Nennen wir es einfach persönliche Gründe.«
Lautlos fluchend schob Dale Hinsen die Papiere auf seinem Schreibtisch hin und her. Er wusste, dass Karga auf die richtige Antwort wartete, und einen Augenblick lang fühlte er sich versucht, einfach ein oder zwei Blätter hervorzuziehen, zu behaupten, es handelte sich dabei um Fluchtpläne, und so Hans zu denunzieren.
Es wäre amüsant gewesen, so vorzugehen, eine Liste mit den Namen Unschuldiger als Beweis vorzulegen, der seinen alten Sergeant in die Grube schickte. Aber sein Wort würde gegen das von Hans stehen – und ob Ha’ark ihm wohl glaubte? Etwas sagte ihm, dass bei einer Konfrontation Ha’ark die Wahrheit aus Hans’ Worten heraushören würde und die Lüge in Hinsens. Es könnte bedeuten, dass ich stattdessen in der Grube lande!
Er blickte zu Karga auf. »Hier ist nichts zu finden. Das sind Arbeitslisten, Produktionsnotizen, Prüflisten, die zeigen, wer krank ist und wer Überstunden leistet.«
»Die Kranken sollten beseitigt werden«, knurrte Karga. »Anderen zu erlauben, dass sie ihre Arbeit übernehmen, ist ein Zeichen von Schwäche.«
Das Verfahren schien Dale eine für die Bantag unübliche Darstellung von Mitgefühl zu sein. Hans hatte schon früher eingewandt, dass die Produktionsquoten ja ohnehin festgelegt waren und es keine Rolle spielen dürfte, wie sie erreicht wurden. Er konnte Ha’ark für die Logik der These gewinnen, dass es sinnlos war, einen ausgebildeten Arbeiter zu schlachten, nur weil er oder sie ein paar Tage lang nicht arbeiten konnte. Was dem Qar Qarth dabei vielleicht nicht klar war: Auf diese Weise baute sich eine tiefere Geschlossenheit im Lager auf; statt einen gegen den anderen aufzubringen, wurde aus dem Überleben somit eine gemeinschaftliche Anstrengung.
»Und unsere Spione?«, erkundigte sich Karga.
»Ich habe ihnen sämtliche von dir genehmigten Versprechungen
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