Fraeulein Jensen und die Liebe
war neun Jahre alt und meine Angebetete schenkte mir einen selbst geschnitzten Steinbock aus Holz. Ich habe ihr dann eine Kette aus dem Automaten zurückgeschenkt.«
»Oooooh, wie süß.«
Habe ich gerade »Oooooh, wie süß« mit hörbaren fünf o gesagt? Warum habe ich das dumme Gefühl, dass ich in letzter Zeit dauernd denke, ob ich irgendetwas wirklich gesagt habe, nachdem ich etwas wirklich gesagt habe? Was denkt er denn jetzt von mir? Ich bin doch eine seriöse Journalistin. Ich kann doch nicht »Ooooooh, wie süß« sagen.
Ich versuche, ein ernstes Gesicht zu machen, und sage mit fester Stimme, als ob es um die deutschen Soldaten in Afghanistan ginge: »Glauben Sie denn an die Liebe?«
»Ja, natürlich. Aber die Liebe entwickelt sich. Ich würde sagen, dass es irgendwann eine vertraute Verliebtheit ist.«
»Vertraute Verliebtheit«. Ist das schön oder ist das schön? Dieser Bernhard Hoëcker ist nicht nur ausgesprochen witzig, sondern auch noch poetisch.
Nächster Vorstoß.
»Glauben Sie denn, dass es für jeden nur die eine Liebe gibt?«
Für mich ist das natürlich eine rein rhetorische Frage. Denn natürlich gibt es für jeden nur die eine, wahre, große, wunderbare Liebe.
»Das ist totaler Blödsinn. Es gibt nicht nur einen Menschen, der zu einem passt. Der Mensch ist zu viel mehr fähig. Schicksal, Vorherbestimmung, Seelenverwandtschaft – wenn Sie mich fragen: Das gibt es nicht.«
»Nein?«
»Nein. Denn wissen Sie, Mann, Frau, Familie, Kinder, Haus: Das ist vollkommen evolutionsuntypisch. Dafür ist der Mensch nicht gemacht.«
»Das ist ja furchtbar«, rutscht es mir raus.
»Überhaupt nicht. Ich finde diese Vorstellung eher entspannend. Sie erleichtert alles. Wissen Sie, wenn ich damals in meinem Dorf geblieben wäre, hätte ich bestimmt auch jemanden gefunden, der zu mir gepasst hätte.«
Ich muss an Klixbüll denken. Bin ich einfach zu wählerisch? Wäre der Sohn von Bauer Hinrichsen vielleicht für mich bestimmt? Oder sein Freund Sven mit dem lauten Moped und der blonden Strähne im Haar? Hätte ich das große Glück schon vor Jahren haben können? Nein, papperlapapp. Ich bleibe dabei. Ein Prinz wird kommen. Und der ist ganz sicher nicht aus Klixbüll.
Klingelingeling. Ernüchtert geht es in die zweite Runde.
Ich muss ja sagen, dass ich vor diesem Gespräch Respekt hatte. Denn Herr Hoëcker ist schlau. Und schlagfertig. Eine Konstellation, die mir spontan Angst macht.
In Sachen Intelligenz bin ich im guten Mittelfeld gelandet, würde ich einfach mal behaupten. Aber wie sagt man so schön? Als der liebe Gott Schlagfertigkeit verteilte, war ich wohl gerade nicht anwesend. Und auch nicht auffindbar, als man mich verzweifelt suchte.
»Da ist noch jemand, der ist noch gar nicht schlagfertig.«
»Und wo ist diese Person?«
»Unsere Suchtrupps und Spürhunde fi nden sie nicht.«
»Ja dann. Pech gehabt.«
Es ist ja nicht so, dass ich in Gesprächen mit Männern gar nicht kontern kann. Mir fällt durchaus etwas ein, aber nicht in der Situation selbst, sondern wenn ich mit Pia auf dem Sofa sitze und wir das Gespräch noch einmal durchspielen. Plötzlich bin ich mehr oder weniger geistreich, schlagfertig und kreativ. Ich habe manchmal schon überlegt, ob ich den Mann dann einfach noch einmal anrufen soll. »Du, vor genau sechs Stunden hast du mich gefragt, ob ich eigentlich immer so viel rede. Ich hätte jetzt eine witzige Antwort parat.«
Als Pia und ich gestern »Genial daneben« ansahen (zur finalen Vorbereitung also), wurde uns die Erkenntnis, dass meine Stärken irgendwo anders liegen, noch einmal schmerzhaft bewusst.
»Mmh, die sind in der Tat ein wenig schlagfertiger als du«, sagte Pia ratlos und sah mich an, als hätte ich am ganzen Körper einen eitrigen Ausschlag. Wir durchforsteten daraufhin panisch das Internet nach Tipps, wie aus einer Hannah Jensen innerhalb von wenigen Stunden eine Hella von Sinnen werden kann.
Und siehe da, wir fanden drei Beispieldialoge, die veranschaulichen sollten, »wie Sie ihrem Gegenüber mit Charme und Witz das Passende entgegnen können«.
1. »Sie leben wohl hinter dem Mond.« Antwort: »Da habe ich auch eine tolle Aussicht.«
2. »Sie blöken wie ein Hammel.« Antwort: »Wenn ich Sie anschaue, fühle ich mich wie einer.«
3. »Ich glaube, Sie haben zugenommen.« Antwort: »Stimmt, kürzlich ist beim Bus sogar die Hinterachse gebrochen.«
Pia schien mit unserer Ausbeute zufrieden zu sein.
»Wenn einer dieser Sätze fällt, bist
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