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Franny Parker

Franny Parker

Titel: Franny Parker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Roberts McKinnon
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dankbar das kalte Wasser auf, das aus dem tiefen, dunklen Boden kam. Jax zappelte zwischen meinen Knien herum und versuchte, mit seiner rosigen Schnauze den Hahn zu erreichen. Plötzlich drehte er sich um und ein tiefes
Wuff
stieg aus seiner Kehle empor. Ich drehte mich auch um.
    »Ist der Tierarzt da?« Lucas Dunn lehnte sich an den Türpfosten, als habe er den ganzen Sommer über nichts anderes gemacht. Jax sprang schwanzwedelnd auf ihn zu und schleckte ihm seine Hände ab.
    »Hey!« Ben winkte ihm zu. »Wo warst du denn die ganze Woche?«
    Ich hatte mich das auch schon gefragt. Es war Mittwochnachmittag und seit dem Pfannkuchenvorfall am Wochenende hatten wir Lucas nicht mehr zu Gesicht bekommen.
    »Hab gearbeitet«, sagte Lucas. »Hab mir drüben in Harlands Supermarkt einen Job besorgt.«
    Da trieb er sich also rum!
    »Los, komm her und schau dir Speedy an«, sagte Ben. »Sie ist fast wieder heil.«
    Lucas folgte ihm in die Stallbox. »Gut gemacht, Leute.« Er strich sanft mit der Hand über das Klebeband, fuhr die raue Oberfläche des Panzers nach und tastete mit den Fingern die Muster und Kerben ab. »Fragt ihr euch auch manchmal, ob die Panzer von Schildkröten so was wie Fingerabdrücke sind? Ihr wisst schon, keiner gleicht einem anderen?«
    »Oder wie Schneeflocken!«, rief Ben. Er ließ sich mitreißen.
    »Genau. Sie erzählen eine Geschichte«, sagte Lucas.
    »Oder so wie die Ringe an einem Baum?«, dachte ich laut nach. Lucas sah mich über die Stalltür an und unsere Blicke trafen sich.
    »Was soll mit denen sein?«, fragte er.
    »Na ja, die Jahresringe an Bäumen erzählen doch auch eine Geschichte«, erklärte ich ihm. »Was der Baum für Jahre gehabt hat, ob das jeweilige Jahr reichhaltig war oder nicht. Von den Ringen kann man ablesen, wie viel Wasser der Baum bekommen hat, wie viel Nahrung, so was in der Art.«
    Lucas starrte eine Minute an mir vorbei und schaute nachdenklich zu den Hügeln hinter der Scheune hoch. Mir wurde ganz unbehaglich, vielleicht hatte ich ja was Dummes gesagt, aber dann lächelte er mir zu.
    »Reichhaltige Jahre«, sagte er schließlich. »Das gefällt mir.«
    Lucas blieb den ganzen Nachmittag, schrubbte Eimer und putzte Käfige aus. Er beantwortete jede der hundert abartigen Fragen, mit denen ihn Ben bombardierte: zum Beispiel, was Gürteltiere zum Frühstück äßen oder wo Sterne landeten, wenn sie herunterfielen. Seine Antworten warfen zwar manchmal Fragen auf, aber nie verlor er die Geduld oder sagte Ben, er solle mal aufhören. Ich merkte, dass mir an ihm besonders die Sachen gefielen, die er sein ließ.
    Als wir mit der Arbeit fertig waren, ging Ben ins Haus, um sich abzukühlen, und Lucas und ich ließen uns auf die Kante eines Heuballens fallen und lehnten uns dankbar an die Scheunenwand. Jax ließ sich zu unseren Füßen nieder, das Kinn still auf die Pfoten gelegt. Der Duft von getrocknetem Gras stieg um uns auf. Er war lieblich und staubig, wie der Tag.
    »Ist es in Oklahoma immer so heiß?«, fragte Lucas.
    Ich hatte ganz vergessen, dass er ja ganz neu in der Gegend war.
    »Heißer als Pfannkuchen«, sagte ich mit Izzys Worten. »Wir brauchen dringend Regen.« So saßen wir eine Weile da. Lucas kaute auf einem Grashalm herum, ich zählte die wilden Schläge meines Herzens, hoffte, dass uns Sidda nicht vom Fenster her beobachtete oder Mama nicht so bald zum Essen rufen würde.
    »Was erzählen deine Ringe?«, fragte Lucas plötzlich und griff nach meiner Hand.
    »Was?« Ich erschrak, als er seine Finger um mein Handgelenk schloss und meine Handfläche nach oben drehte, damit er sie sehen konnte.
    »Die Linien in deiner Hand. Was erzählen sie von deinen Jahren?«
    Ich dachte an die alte Ulme vor meinem Fenster, wie sie das ganze Jahr über in windigen Nächten knarzte. An Speedys rauen Panzer, auf dem sich die Schildkrötenjahre abzeichneten; Eier legen, Kinder kriegen, Winterschlaf halten. Und die Ringe meines Lebens: Mama und Daddy, Ben, Sidda und Grandma Rae, die Farm, unsere staubige kleine Stadt. Alles, was über die Jahre mit mir gewachsen war, so vertraut, aber ganz neu und fremd für Lucas, so unbekannt wie er für mich.
    Lucas’ Finger fühlten sich auf meiner heißen Hand kühl an und er fuhr mir sanft damit über die Handfläche, während er sie betrachtete. Ich hob den Kopf und sah ihn mir genau an. Sein Haar, das die gleiche Farbe hatte wie das Heu, auf dem wir saßen, seine Haut, sommersprossig und gebräunt. Er roch nach Sommer, nach Gras und

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