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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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bereite, hätte zu denken geben sollen.
Die Wahrheit ist, dass nichts zwischen Patty und Richard je von Dauer sein
konnte, denn sie waren zwangsläufig eine Enttäuschung füreinander, weil keiner
von ihnen für den anderen so liebenswert war wie Walter für sie beide. Jedes
Mal, wenn Patty nach dem Sex allein dalag, versank sie in Kummer und
Einsamkeit, weil Richard immer Richard bleiben würde, während es mit Walter
immer die Möglichkeit der Veränderung und Vertiefung ihrer Beziehung gegeben
hatte, wie vage sie auch sein und wie lange es auch dauern mochte, bis sie sich
realisierte. Als Patty über ihre Kinder von der irrwitzigen Rede hörte, die er
in West Virginia gehalten hatte, verzweifelte sie erst recht. Es schien, als
hätte Walter sich nur von ihr trennen müssen, um ein freierer Mensch zu werden.
Die alte Theorie, der sie beide angehangen hatten - dass er sie mehr liebte und
brauchte als sie ihn -, war falsch gewesen, es verhielt sich genau umgekehrt.
Und nun hatte sie die Liebe ihres Lebens verloren.
    Dann kam
die furchtbare Nachricht von Lalithas Tod, und Patty verspürte vieles
gleichzeitig: große Trauer und Mitleid mit Walter, heftige Schuldgefühle, weil
sie sich so oft gewünscht hatte, Lalitha wäre tot, plötzliche Angst vor ihrem
eigenen Tod, die kurz aufflackernde egoistische Hoffnung, Walter werde sie nun
vielleicht zurücknehmen, und dann schreckliche, krankmachende Reue, weil sie,
indem sie zu Richard gegangen war, die beste Voraussetzung dafür geschaffen
hatte, dass Walter sie niemals zurücknehmen würde. Solange Lalitha lebte, hatte
immerhin noch die Chance bestanden, dass er irgendwann genug von ihr haben
würde, aber seit sie tot war, gab es für Patty überhaupt keine Hoffnung mehr.
Da sie das Mädchen gehasst und kein Hehl daraus gemacht hatte, stand es ihr
jetzt auch nicht zu, Walter zu trösten, und sie wusste, dass es sie nur wie ein
Monster aussehen lassen konnte, wenn sie ein so trauriges Ereignis dazu
nutzte, sich wieder in sein Leben zurückzumogeln. Sie versuchte sich viele Tage
lang an einem Kondolenzbrief, der Walters Schmerz angemessen gewesen wäre, aber
der Graben zwischen der Reinheit seiner Gefühle und der Unreinheit der ihren
war unüberbrückbar. Sie konnte ihm ihr Beileid bestenfalls indirekt, durch Jessica,
übermitteln und hoffen, er würde wissen, dass die Sehnsucht, ihm Trost zu
spenden, in ihr war, und verstehen, warum sie, nachdem sie ihm keinen
Kondolenzbrief geschickt hatte, über nichts anderes mehr mit ihm kommunizieren
konnte. Daher, auf ihrer Seite, die sechs Jahre Schweigen.
    Die
Autobiographin würde ja gern berichten, dass Patty Richard unmittelbar nach
Lalithas Tod verließ, aber tatsächlich blieb sie noch drei Monate bei ihm. (Für
einen Ausbund an Entschlusskraft und menschlicher Größe wird sie wohl ohnehin
niemand je halten.) Zum einen wusste sie, dass es lange, womöglich ewig dauern
würde, bis noch einmal jemand, den sie wirklich mochte, mit ihr würde schlafen
wollen. Und zum anderen tat Richard, seitdem sie Walter verloren hatte, auf
seine unerschütterliche, wenngleich wenig überzeugende Weise sein Möglichstes,
ein guter Mensch zu sein. Sie liebte Richard nicht
sehr, aber für seine Bemühungen in dieser Richtung liebte sie ihn doch ein
bisschen (obwohl sie auch darin, wie hier deutlich geworden sein dürfte,
eigentlich Walter liebte, denn er war es, der Richard die Idee, ein guter
Mensch zu sein, in den Kopf gepflanzt hatte). Er setzte sich
mannhaft an den Tisch und aß, was sie für ihn gekocht hatte, er zwang sich, zu
Hause zu bleiben und Videos mit ihr anzuschauen, er wetterte ihre häufigen
emotionalen Regenstürme ab, und dennoch war sie sich permanent bewusst, wie
unglücklich ihr Auftauchen mit seiner neuerwachenden Hingabe an die Musik
zusammengefallen war - dem Bedürfnis, die ganze Nacht mit seinen Bandkollegen
unterwegs oder allein in seinem Zimmer oder in den Schlafzimmern zahlreicher
anderer Frauen zu sein -, und obwohl sie diese Bedürfnisse theoretisch
respektierte, konnte sie doch ihre eigenen nicht ganz verleugnen, etwa das
Bedürfnis, keine andere Frau an ihm zu riechen. Um sich rar zu machen und ein
bisschen Geld zu verdienen, arbeitete sie abends als Barista, bereitete also
ausgerechnet Kaffeemixgetränke zu, wo sie doch die Idee, solche
Kaffeemixgetränke zuzubereiten, einst bespöttelt hatte. Zu Hause gab sie sich
alle Mühe, amüsant und umgänglich zu sein und Richard nicht auf den Wecker zu
fallen, aber

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