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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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er doch auf, und sein reflexhaft höhnisches Grinsen verwandelte sich in
ein echtes Lächeln. Er hatte sein gutes Aussehen eingebüßt, genauer gesagt, es
war zu einer kleinen Gesichtsoase in einer Wüste sonnenverbrannter
Aufgedunsenheit geschrumpft. «Ja, leck mich doch», sagte er. «Der kleine
Walter! Was machst du denn hier?»
    «Wollte
mal nach dir sehen.»
    Mitch
wischte sich die Hände an seinen sehr schmutzigen Cargoshorts ab und hielt
Walter eine hin. Es war eine schwabbelige Hand, und Walter drückte sie fest.
    «Jaa, hey,
toll», sagte Mitch vage. «Ich wollte mir gerade ein Bier aufmachen. Willst du
ein Bier? Oder bist du noch abstinent?»

«Ich nehme
eins», sagte Walter. Ihm dämmerte, dass es barmherzig und Lalitha-typisch
gewesen wäre, Mitch ein paar Sechserpacks mitzubringen, und dann dachte er,
dass es ebenso barmherzig war, Mitch bei irgendetwas großzügig sein zu lassen.
Er wusste nicht, was von beidem die größere Barmherzigkeit war. Mitch
überquerte seinen unordentlichen Stellplatz zu einer riesigen Kühlbox und kam
mit zwei Dosen PBR zurück.
    «Jaa»,
sagte er, «ich hab den Transporter hier vorbeifahren sehen und mich gefragt,
was wir da jetzt für Hippies kriegen. Bist du jetzt ein Hippie?»
    «Eher
nicht.»
    Während
Fliegen und Wespen sich an den Eingeweiden von Mitchs aufgeschobenem
Fischputzprojekt labten, setzten sich die beiden auf zwei uralte Campingstühle
aus Holz und schimmelfleckigem Segeltuch, die einmal ihrem Vater gehört
hatten. Walter erkannte auf dem Platz weiteres ähnlich altes Zeug. Wie damals
ihr Vater redete Mitch gern, und während er Walter über seine gegenwärtige
Existenz ins Bild setzte und ihn auch über die lange Liste von Pechsträhnen,
Rückenverletzungen, Autounfällen und unversöhnlichen Ehedifferenzen
informierte, die zu dieser Existenz geführt hatten, staunte Walter darüber,
was für ein anderer Trinker als sein Vater er war. Der Alkohol oder der Lauf
der Zeit schien sämtliche Erinnerungen an die Feindschaft zwischen ihm und
Walter ausgelöscht zu haben. Er zeigte nicht die Spur von Verantwortungsgefühl,
aber auch - deswegen - weder Abwehr noch Groll. Es war ein sonniger Tag, und er
machte eben sein Ding. Trank stetig, aber ohne Eile; der Nachmittag war lang.
    «Und wo
kriegst du dein Geld her?», sagte Walter. «Arbeitest du?»
    Mitch
beugte sich ein wenig wackelig vor und öffnete einen Werkzeugkasten, in dem ein
Häufchen Papiergeld und vielleicht fünfzig Dollar in Münzen lagen. «Meine
Bank», sagte er. «Ich hab genug, dass ichs über die warmen Tage schaffe.
Letzten Winter hatte ich einen Nachtwächterjob in Aitkin.»
    «Und wenn
das da ausgeht?»
    «Dann find
ich schon was. Ich komm ganz gut zurecht.»
    «Machst du
dir Sorgen wegen deiner Kinder?»
    «Jaa,
manchmal schon. Aber die haben gute Mütter, die wissen, wie sie mit ihnen
klarkommen. Ich bin da keine Hilfe. Das hab ich endlich spitzgekriegt. Ich komm
bloß alleine gut zurecht.»
    «Du bist
ein freier Mann.»
    «Allerdings.»
    Sie
schwiegen. Ein kleiner Wind war aufgekommen und warf Millionen Diamanten über
die Wasseroberfläche des Petersees. Am anderen Ende dösten Fischer in
Alu-Ruderbooten. Irgendwo, näher, krächzte ein Rabe, ein Camper hackte Holz.
Walter hatte den ganzen Sommer im Freien verbracht, viele Tage davon an
weitaus abgelegeneren und weniger besiedelten Orten als hier, doch nirgendwo
hatte er sich von den Dingen, die sein Leben ausmachten, weiter entfernt
gefühlt. Seinen Kindern, seiner Arbeit, seinen Anschauungen, den Frauen, die er
liebte. Er wusste, dass sein Bruder sich für dieses Leben nicht interessierte -
es hinter sich gelassen hatte, sich überhaupt noch für etwas zu interessieren
-, und er hatte auch nicht den Wunsch, darüber zu sprechen. Es ihm
aufzudrängen. Doch genau in dem Moment, als sein Handy klingelte und eine ihm
unbekannte Nummer aus West Virginia anzeigte, dachte er, wie glücklich und
gesegnet sein Leben doch gewesen war.
     
    ES WURDEN FEHLER GEMACHT (SCHLUSS)
     
    Eine Art
Brief an ihren Leser
    von Patty
Berglund
     
    Kapitel
4: Sechs Jahre
     
    Die
Autobiographin hat sich, aus Rücksicht auf ihren Leser und den von ihm
erlittenen Verlust, aber auch weil sie weiß, dass eine gewisse Stimme in
Anbetracht der zunehmenden Düsterkeit des Lebens gut daran täte zu verstummen,
sehr bemüht, diese Seiten in der ersten und zweiten Person zu schreiben. Aber
leider Gottes scheint sie dazu verurteilt, als Schreibende eine jener
Sportskanonen

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