Franzosenliebchen
Die gleiche
Zigarettenmarke! Wie viele Beweise wollen Sie denn noch? Der Fall
ist aufgeklärt.« Er klopfte dem Polizisten auf die
Schulter. »Gute Arbeit, wirklich.«
Goldstein hätte
gern Wiedemanns Überzeugung, dass die Franzosen die Täter
waren, geteilt. Aber in ihm nagten Zweifel. Er hatte Indizien
zusammengetragen, aber keinen Beweis. Alles ließ sich auch
anders erklären. Allerdings war davon auszugehen, dass seine
Berliner Vorgesetzten ähnlich dachten wie Wiedemann. Und war
eine endgültige Gewissheit es eigentlich wert, das Risiko
einzugehen, von den Franzosen geschnappt und als Spion verurteilt
zu werden? Sicher nicht.
Goldstein rang sich
eine Entscheidung ab. »Sie haben recht. Ich reise zurück
nach Berlin und liefere meinen Bericht ab.«
»Wann wollen Sie
fahren?«
»Gleich morgen
früh.«
30
Sonntag, 25. Februar
1923
Wieland Trasse war
gegen Mittag in Münster eingetroffen. Sein Weg führte ihn
in ein Gebäude in der Nähe des Domplatzes. Dort, im
ersten Stock, hatte eines der Abwehrkommissariate seinen Sitz, das
eng mit der Zentrale Nord zusammenarbeitete. Deren Kontaktmann im
besetzten Gebiet war Wieland Trasse. Den Mitgliedern der
Abwehrkommissariate war es streng untersagt, selbst in die
besetzten Gebiete zu reisen. Die Gefahr einer Entdeckung durch die
französische Spionageabwehr erschien den Verantwortlichen zu
groß. Stattdessen nutzte die Centrale Staatspolizei, die den
Auftrag hatte, landesverräterische Bestrebungen von Deutschen
im besetzten Teil Deutschlands aufzuklären, die Dienste
unverdächtiger Bürger, um den Kontakt zu halten.
Häufig handelte es sich um Beamte und Gutsituierte, die
für die Staatspolizei Spitzeldienste leisteten und die der
Kollaboration Verdächtige unter Vorspiegelung falscher
Tatsachen ins unbesetzte Gebiet lockten, wo sie festgenommen und
vor deutsche Strafgerichte gestellt werden konnten.
Trasse nun arbeitete
nicht nur als Denunziant, sondern koordinierte für die
Zentrale Nord auch die Arbeit der Widerstands- und Sabotagegruppen
im mittleren Ruhrgebiet. Diese Tätigkeit war heute der Grund
dafür, dass er in dem kärglich eingerichteten und nur
unzureichend beheizten Büro in der Münsteraner Innenstadt
saß. Zwei hohe Polizeioffiziere in Zivilkleidung hatten ihm
gegenüber Platz genommen.
Nach dem Austausch der
üblichen Begrüßungsfloskeln kam einer der beiden
gleich zur Sache. Kriminaldirektor Erich Gräfe war korpulent
und auf seiner Glatze perlte, trotz der ungemütlichen
Witterung draußen, der Schweiß, den er sich immer
wieder mit einem weißen Taschentuch abwischte.
»Die
Organisation Saborski neigt zu Alleingängen«, schnaufte
er. »Störung des Eisenbahnverkehrs der Franzosen: Ja.
Versenkung eines Schleppkahns im Rhein-Herne-Kanal, wie es
Schlageter gemacht hat: Ja. Aber tote französische Soldaten:
Nein.« Er griff erneut zum Taschentuch.
Kriminalinspektor
Blokker, ein für seinen Dienstgrad erstaunlich junger Mann,
ergänzte: »Sie wissen doch, dass wir den Franzosen
keinen Vorwand liefern dürfen, aus der Besetzung der Gebiete
an Rhein und Ruhr einen Flächenbrand werden zu lassen. Ein
Funke genügt und Deutschland wird in einen neuen Krieg
hineingerissen, den es momentan nicht gewinnen kann. Also rufen Sie
Ihre Leute zu Ordnung. Keine weiteren toten Franzosen
mehr!«
Den Regierungsrat
überraschten die Vorwürfe nicht. Gleich als er auf dem
üblichen Behördendienstweg die Einladung zu diesem
Treffen übermittelt bekommen hatte, war ihm klar gewesen, dass
er sich wegen Saborskis Anschlag auf die Bladenhorster Brücke
würde verantworten müssen. Und er hatte sich vorbereitet.
»Ich bin mir bewusst, dass die Aktion nicht so ablief, wie
wir sie geplant hatten. Saborski war in der Vergangenheit immer
zuverlässig. An ihm hat es nicht gelegen, dass der Einsatz
etwas unglücklich verlaufen ist. Einer der Männer des
Kommandos hat versagt.«
»Inwiefern?«, wollte
Gräfe wissen.
»Dem
Stoßtrupp fehlte es an der richtigen Beleuchtung, die dieses
Kommandomitglied hatte besorgen sollen. So dauerte das Anbringen
und Verdrahten der Zünder länger als geplant. Als die
Sprengladungen scharf waren, war keine Zeit mehr, die
Zündschnüre zu verstecken. Hätte das Kommando nicht
gesprengt, wäre es Gefahr gelaufen, von den Franzosen entdeckt
und festgenommen zu werden. Das wollten die Männer
verständlicherweise nicht riskieren. Der Tod der
französischen Soldaten ist zwar bedauerlich, war aber nach
Lage der Dinge unvermeidlich.
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