Fratzenmond: Katinka Palfys dritter Fall (German Edition)
keine Erinnerung mehr. Es hat wohl sogar einen Prozess gegeben, denn Grit scheint den Unfall verursacht zu haben. Jemand ist zu Tode gekommen.«
Britta, die sich ebenfalls von ihren nassen Sachen befreite und sich in einen Bademantel kuschelte, fragte:
»Wer denn, um Himmels willen?«
»Das geht eben nicht aus Idas Geschreibsel hervor. Das ganze ist sehr emotional gehalten, bruchstückhaft, lauter bunte Versatzstücke. Dann kommen wieder völlig rationale Abschnitte, staubtrocken formuliert. Was ich aber interessant finde, ist, dass sie seit diesem Unfall und dem Gedächtnisverlust Probleme verbunden mit … mit so etwas wie Visionen hatte.«
Britta, die ihr Gesicht abschminkte, starrte Katinkas Spiegelbild an.
»Probleme mit Visionen? Sie hat also doch Gespenster gesehen?«
»Kann schon sein. Aber der Bamberger Reiter war Wirklichkeit. Ich habe ihn auch gesehen. Er war sogar so echt, dass er Ida umgebracht hat.«
»Könnte Hasseberg der Spuk sein?«
Katinka zuckte die Achseln.
»Ich habe auch schon darüber nachgedacht. Aber ich stecke noch zu frisch in der Sache drin. Ich kann mir einfach kein Motiv denken. Außerdem«, sie zögerte, »kam mir der Spuk kleiner vor als Hasseberg. Kleiner, gedrungener. Und wie er lief: nicht so stocksteif wie Hasseberg. Irgendwie … ich kann’s nicht beschreiben. Jedenfalls nicht so zackig. Schwerfälliger.«
Britta schwieg.
Katinka tauchte in dem Wasser unter. Für ihren Geschmack könnte es noch heißer sein. Sie rieb sich das Haar mit Shampoo ein, als Britta sagte:
»Wie ist der Prozess denn ausgegangen?«
»Weiß ich eben nicht. Ich will mal nachforschen. Ida schreibt nicht so akkurat. Das sind keine exakten Informationen, sondern eigentlich nur die Bestätigungen für ihre eigenen Gefühle.«
Britta sah zweifelnd drein, während sie durch ihr schwarzes Haar bürstete.
»Ein Unfall mit Todesfolge hier im Stadtgebiet?«
»Das glaube ich eigentlich nicht. Die beiden Frauen lagen wohl längere Zeit bewusstlos im Auto. Die Sache geschah im Januar. Grit hatte ziemlich starke Unterkühlungen. In der Stadt hätte doch sofort jemand den Rettungswagen gerufen.«
»Was für Visionen hatte Ida denn?«, fragte Britta neugierig.
Katinka spielte mit dem Badeschaum.
»Sie sah Fratzen.«
»Fratzen?«
»Ja, solche, wie man sie auf den Hauswänden in unserer Gegend findet. Neidköpfe, Schutzgeister, Gorgonenhäupter.«
»Du meinst diese magischen Abwehrgesichter, die die Hausbewohner vor Dämonen und so weiter beschützen sollen?«
»Genau, oder die den Neid der Zeitgenossen fernhalten. In Bamberg gibt es viele davon. Sie reißen ihre Mäuler auf, strecken die Zunge raus und blecken die Zähne. Ziemlich furchterregend, wenn du mich fragst.« Katinka strich sich den Rest Shampoo aus dem Haarschopf. »Gleich bei der Oberen Pfarre, an dem gelben Haus, prangt eine tolle Fratze. Mit Zahnlücke. Wir sind nur schon zu sehr an die Häuser gewöhnt und gucken nicht so richtig hin. Lass doch mal wie ein Tourist deinen Blick an den Fassaden hochgleiten.«
Britta seufzte.
»Ich verstehe das richtig, dass du bei Hasseberg geblufft hast, oder? Du hast Idas Tagebücher selbst geklaut, wenn man so will.«
»Geliehen.«
»Vergiss es. Hasseberg hast du eingeredet, seine Tochter im Verdacht zu haben.«
»Ich habe ihm weisgemacht, Ida hätte die Kladden vermisst, und es sei einer ihrer letzten Gedanken vor ihrem Tod gewesen, herauszufinden, wer sie weggenommen hat. Versteh doch, ich will rauskriegen, wie Zuneigung und Abneigung in dieser Familie verteilt sind.«
»Du schreckst ja vor nichts zurück!«, stöhnte Britta. »Dabei wäre für dich doch entscheidend, ob in den Tagebüchern ein Hinweis auf ihren Mörder auftaucht, oder?«
Katinka sah missmutig drein.
»Laut Polizei darf ich natürlich nicht. Aber Alina Faber, Hassebergs Exfrau, hat mich beauftragt, rauszukriegen, was in ihrer Familie so abgeht. Das beschäftigt mich. Und ihr Ehemaliger beschimpft sie als Alkoholikerin.«
»Auch eine beliebte Masche«, sagte Britta. »Klappt meistens bei Scheidungen. Ich gehe mal und setze Tee auf.« An der Badezimmertür sah sie noch einmal zurück: »Hast du dir schon mal überlegt«, begann sie, »wenn der Bamberger Reiter in Idas Garten echt war, dann waren vielleicht auch die Fratzen echt?«
Als Katinka später im Taxi nach Hause saß, war sie so müde von dem Grog, den Britta ihr gebraut hatte, und ausgezehrt von dem Abenteuer in Hassebergs Pool, dass sie sofort ins Bett kroch und
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