Frau Holle ist tot
aussagen. Sie fühlt sich verfolgt. Sie wirkt auch nicht besonders
glaubwürdig.«
»Der Typ kann doch nicht straffrei ausgehen«,
protestierte Burkhard.
»Als Erstes fragen wir Frau Mertens nach seinem Alibi
für die Tatnacht. Dann sehen wir weiter.«
»Das machen wir gleich«, schlug Burkhard vor, stellte
sein Weinglas ab und erhob sich.
Mayfeld wollte den Tatendrang seines Kollegen nicht
bremsen.
»Ich komme mit«, sagte er.
Sie fuhren nach Oestrich. Frau Mertens schien
beunruhigt, dass ihr Mann noch nicht zu Hause war. Doch ihre Befragung brachte
die beiden Kommissare nicht weiter. Sie bestätigte alle Angaben ihres Mannes.
»Nächste Woche überlegen wir uns eine Strategie, wie
wir den Kerl zur Strecke bringen«, sagte Burkhard zu Mayfeld, als sie sich vor
dem Haus in der Bornstraße voneinander verabschiedeten.
***
Sie arbeiteten den ganzen Nachmittag, nachdem
Annika und Herbert zur Kisselmühle zurückgekommen waren. Marie war ziemlich
überrascht gewesen, dass der alte Freund, von dem Annika am Telefon gesprochen
hatte, der Alte aus dem Krankenhaus war. Aber der Typ schien ganz cool zu sein.
Sie füllten im Stall Heu in die Raufen, gossen die Blumen vor der Lamaschule,
fütterten die Meerschweinchen und die Papageien, gingen die Zäune ab, sammelten
Lamakötel ein und fuhren sie auf den Misthaufen.
Marie war so froh über ihre Freiheit, dass sie es
sogar genoss, Scheiße einzusammeln und auf einen Misthaufen zu bringen. Annika
war anfangs ziemlich durch den Wind und wollte nicht mit ihr reden.
»Später«, sagte sie immer wieder, wenn Marie wissen
wollte, was mit ihr los war. Herbert sagte ihnen, was zu tun war, und stellte
keine Fragen.
Die ruhige Arbeit tat gut nach all dem Stress der
vergangenen Tage. Annika verlor mit der Zeit ihren irren Blick, und Marie
dachte immer öfter an die Tiere statt an die Gespenster der Vergangenheit. Als
die Abenddämmerung hereinbrach, trieben sie die Lamas, die Alpakas, die Kamele
und Dromedare in den Stall.
»Ich geh dann schon mal runter zum Haus«, sagte
Herbert, als alle Arbeit getan war. »Ich koch uns was Leckeres. Ihr könnt noch
bei den Tieren bleiben. Die mögen es, wenn man ihnen das Fell kämmt. Und es
beruhigt die Nerven.«
Er warf einen Blick auf Annika. Herbert schien sich
ziemliche Sorgen um sie zu machen.
Sie holten Bürsten aus dem Korb am Eingang und gingen
in das Gatter, in dem die Lamas standen. Die Tiere wichen zurück, trippelten
durch die offenen Seitentüren auf die Paddocks neben dem Stall. Aber bei
einigen überwog die Neugier, sie kamen zurück. Ganz vorsichtig begannen Marie
und Annika, mit den Bürsten durch das Fell der Tiere zu streichen.
Eine Viertelstunde sprachen sie kein Wort.
Mittlerweile waren viele der Tiere wieder in den Stall gekommen und ließen sich
das Heu schmecken.
»Ich wollte mich nicht umbringen«, sagte Annika schließlich.
»Das Arschloch wollte mich vergiften.«
Annika meinte des Öfteren, dass irgendwer hinter ihr
her war und ihr Böses wollte, aber diesmal glaubte ihr Marie.
»Wie hat er das denn versucht?«, fragte sie.
»Er muss mir irgendwas in den Wodka getan haben«,
vermutete Annika. »Die Ärzte haben Beruhigungsmittel in meinem Blut gefunden,
ich hab in letzter Zeit aber nichts eingeworfen.«
Marie ging zum nächsten Lama.
»Ich hab am letzten Samstag eine halb volle Flasche
Wodka von dir mitgenommen«, sagte sie. »Ich hab etwas davon getrunken und hatte
anschließend einen kompletten Filmriss. Wenn da irgend so ein Scheiß drin war,
ist das kein Wunder.«
»Filmriss? Was haben denn deine Alten dazu gesagt?«
»Die waren stinksauer«, log Marie.
Als sie in der Kisselmühle eingetroffen war, hatte
Herbert gefragt, was sie ihren Eltern gesagt habe, wo sie sei. Bei Annika,
hatte sie geantwortet, und der Alte hatte sich damit zufriedengegeben.
Offensichtlich ging Annika davon aus, dass sie nach ihrem Treffen am
vergangenen Samstag noch mal zu Hause gewesen war. Das war gar nicht so
schlecht, dachte Marie. Dann musste sie nichts von Basti erzählen. Annika mit
ihrem übertriebenen Misstrauen wäre bestimmt sauer.
»Herbert hat in den letzten Tagen keine Zeitung
gelesen«, sagte Annika. »Dem kannst du viel erzählen. Ich hingegen hatte im
Krankenhaus Besuch von der Polizei. Deine Alten haben dich als vermisst
gemeldet. Und ich hab am Donnerstag mal in die Zeitung geschaut. Was ist das
für ein Typ, den die Polizei sucht?«
Marie erinnerte sich an das Telefonat mit Annika.
Annika hatte
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