Fremde am Meer
Kopf in der Tür stehen.
Dann schaute er auf, und einen ganz kurzen Moment lang begegnete sein Blick meinem, ehe seine Augen die übliche Stelle neben meinem Kopf fixierten. Das mit der Begegnung unserer Blicke hätte ich mir auch einbilden können, aber was er sagte, stand außer Zweifel.
»Ja.«
Ich hätte ihn am liebsten in die Arme genommen. Ihm meine Hand auf den Kopf gelegt. Doch ich hielt mich zurück.
Stattdessen hockte ich mich wieder vor ihn hin.
»Das freut mich sehr«, sagte ich.
Er drehte sich abrupt um und ging.
Lola drückte ihre Zigarette in der Spüle aus. Mit geschlossenen Lippen lächelte sie ihr schiefes Lächeln. Eigentlich war es gar kein Lächeln. Es lag keine Heiterkeit darin und verursachte mir Unbehagen.
»Deutlicher lässt er Sie nicht wissen, dass er Sie mag«, sagte sie. »Ich hole mal seine anderen Sachen.«
Ich ging nach draußen und stellte mich vor die Haustür. Ika und George standen neben dem Auto. George schien zu sprechen, und beide musterten aufmerksam einen der Reifen, was mir ein Lächeln entlockte.
Bei der Abfahrt drehte ich mich in meinem Sitz um und schaute auf die kleine Person in der Tür hinter uns. Sie stand einen Moment lang reglos da, dann verschwand sie nach drinnen.
Wir fuhren durch den flachen Graben auf die Straße. Während wir an Tempo zulegten, wandte George sich zuerst Ika zu und dann mir.
»Das war ein schöner Morgen«, sagte er.
»Was meinst du, Ika?«, fragte ich, ohne ihn anzusehen.
»Ja«, sagte Ika.
Ich lächelte wieder.
»Es war ein sehr schöner Morgen. Wirklich sehr schön«, sagte ich und schnallte mich an.
11
George brachte uns nach Hause. Hinterher wurde mir klar, dass ich ihn hätte hereinbitten sollen, aber als er uns absetzte und wir einen Moment lang am Wagen standen, fiel mir nichts anderes ein, als mich zu bedanken. Nach kurzem, verlegenem Schweigen versprach George Ika, am Samstag mit ihm angeln zu gehen. Dann winkte er und fuhr ab.
Ich machte Tee und Sandwiches, und wir setzten uns auf die Terrasse. Es war früher Nachmittag und hatte aufgeklart. Wir saßen windgeschützt in der wärmenden Sonne. Ika hatte den Schuhkarton auf den Stuhl neben sich gestellt. Ich schaute ihn an und fragte mich, was er wohl enthielt.
»Darf ich sehen, was in deinem Karton ist?«, fragte ich. »Oder ist das privat?«
Statt einer Antwort stellte Ika den Karton auf den Tisch.
»Darf ich?«, fragte ich noch einmal und legte meine Hand auf den Deckel.
Er nickte.
Ich nahm den Deckel ab. Viel war nicht in der Schachtel.
Eine abgenutzte Zahnbürste.
Eine ausgefranste Plastiktüte mit etwas darin, das aussah wie ein Babyzahn.
Das abgegriffene Foto einer jungen, dunkelhaarigen Frau mit einem in eine Decke gewickelten Säugling auf dem Arm. Sie sah das Kind nicht an, sondern blickte direkt in die Kamera, mit einem Gesichtsausdruck, der schwer zu deuten war. Freude zeigte sich nicht darin. Sie hielt das Baby, als hätte ihr jemand ein unerwünschtes Paket gereicht. Sie wirkte sehr jung, obwohl ihre Miene und ihre Haltung auf alles andere als jugendliche Unschuld hinwiesen. Ich vermutete, es war Lizzie mit ihrem Sohn.
Ein kleines Messer mit rostiger Klinge.
Ein Kreuz aus Silberfiligran an einer zerrissenen Silberkette.
Einige überraschend schöne Muschelschalen, anders als alle, die ich je am Strand gefunden hatte. Sie sahen auch nicht aus wie die künstlich blank polierten, die in den Touristenläden verkauft werden. Ich fragte mich, woher sie stammten.
Und dann, unter all den anderen Dingen, mein kleines Windglockenspiel aus Paua-Muscheln. Ich hatte mich schon gewundert, wo es hingekommen war, und angenommen, dass der Wind es vom Nagel gerissen hatte. Aber hier war es, und wieder spürte ich einen Klumpen in der Kehle. Was geschah mit mir?
Ich schaute Ika an, der mit vollem Mund an mir vorbei aufs Meer starrte. Sein Gesicht war ausdruckslos. Ich hatte keine Ahnung, was er empfand.
Ich holte das Glockenspiel hervor.
»Lass uns einen guten Platz dafür suchen«, sagte ich. »Es hat den Wind gern, glaube ich.«
Ich hielt es Ika hin, und er streckte die Hand aus, ging zu der Stelle, wo es gehangen hatte, und hängte es wieder an den Nagel. Wie aufs Stichwort verfing sich eine Bö in der Schnur mit den Muscheln, und sie klimperten fröhlich.
Dann drehte er sich um zu der Hängematte, die von der Decke hing, krabbelte hinein und rutschte hin und her, bis er halb saß, halb lag. Die Matte schaukelte sacht. Ika hob den Blick und sah mich einen
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