Frettnapf: Roman
nur die Mailbox. Für einen Moment erwäge ich, einfach den ganzen Weg nach Hause für sie Nachrichten zu hinterlassen, ihr zu erzählen, was gerade in mir vorgeht, entscheide mich dann aber dagegen, da sie sicher nicht scharf ist auf fünfzig Nachrichten, die sich nur um mich drehen und nicht mal chronologisch richtig abgespielt werden. Ich müsste mir schon genau überlegen, was ich in Nachricht fünfzig sage, um mich dann langsam zu Nachricht eins vorzuarbeiten. Unmöglich.
Als wir noch frisch verliebt waren, musste ich auch mal nach Hause laufen, da ich den letzten Bus vom Messegelände in die Stadt verpasst hatte. Ich habe Jessi angerufen und die ganze Zeit mit ihr gesprochen, bis zur Haustür. Danach haben wir miteinander geschlafen und noch bis in die frühen Morgenstunden weitergeredet. In den vergangenen Wochen ist diese damals unermüdlich scheinende Konversationslust bei uns etwas eingeschlafen. Größtenteils liegt das daran, dass ich im Grunde alles über mich erzählt habe und meinen Alltag langweilig finde, wenn ich ihn nicht mit Jessi verbringe. Sie selbst hat mit dem Sommersemester ihr Studium abgeschlossen, hat nun einen Master in Kommunikationswissenschaften und eigentlich viel vor, wäre da nicht die Schwangerschaft, die ihr weit mehr bedeutet. Durch den Wegfall des Studiums passiert aber leider sehr viel weniger in ihrem Alltag, und wir reden inzwischen vor allem über die Organisation der kommenden Wochen, über unsere ungeborene Tochter. Natürlich ist das nicht schlimm, wir haben auch so viel Freude miteinander, lachen jeden Tag mehr als der Durchschnittsdeutsche in seinem ganzen Leben. Allein die Suche nach einem guten Namen für die Kleine hat uns wiederholt über den Boden kullern und nach Luft japsen lassen. Und das, obwohl es schlicht albern und am nächsten Tag kaum noch komisch ist, die Tochter Hochsee (Fischer), Pattrischa (Fischer) oder Eugen nennen zu wollen.
Trotzem vermisse ich unsere Gespräche über uns. Und mir fallen auf dem Weg nach Hause Dutzende Geschichten ein, die ich Jessi noch nicht erzählt habe. Allein im Hofgarten, den ich gerade durchquere, habe ich genug für einen Abend erlebt. Anfang der Neunziger gab es im kleinen Pavillon einige Partys, die immer erst sehr spät von der Polizei aufgelöst wurden. Und wenn die Bullen kamen, sind wir in alle Richtungen geflohen. In einer besonders warmen Nacht bin ich in einem der Brunnen untergetaucht und sah danach aus wie das Ding aus dem Sumpf (und roch auch entsprechend), ein anderes Mal habe ich mich mit einem Flechtsessel aus dem Café im Hofgarten aufs Rad geschwungen und wurde erst an der Münchner Freiheit von einer Zivilstreife aufgegabelt.
Vielleicht sollte ich in Zukunft wieder etwas mehr durch die Stadt spazieren und meine Erinnerungen an mein eigenes Leben auffrischen. Meiner Beziehung zu Jessi würde das nicht schaden. Solange ich nicht durch die Jahnstraße laufe und ihr dann von der Zeit erzähle, in der ich glaubte, unsterblich in Maren verliebt zu sein.
Glücksspielmesse
»Zutritt nur für Personen ab 18 Jahren.«
Es ist Montagabend, und ich stehe vor dem Café Benz und traue mich nicht hinein. Eigentlich sollte ich gerade bei Hip FM im Studio stehen, aber Hondo hat mich wegen einer angeblich einmaligen Chance hierher bestellt. Ich gebe zu, dass ich ein wenig erleichtert war, eine so überzeugende Ausrede vor meinem Unterbewusstsein parat zu haben, das mich eigentlich viel lieber beim Radiosender sehen würde. Ich kann es tatsächlich erfolgreich beruhigen, indem ich mir einrede, dass mir an einem der kommenden vier Abende sicherlich eine Sendung gelingen wird, die Jerry überzeugt, dass ich der richtige Mann für seinen Sender bin. Immerhin habe ich mich durch die ganzen Zeitschriften gelesen und eine grobe Vorauswahl an Themen im Kopf, über die ich sprechen könnte. Und vielleicht bekomme ich genau heute Abend den Stoff geliefert, den ich morgen in der Sendung verbraten kann.
Dafür müsste ich allerdings das Café Benz betreten, wogegen sich mein Geist und Körper sträuben. Dies ist kein Ort für Leute wie mich. Wir verfügen nicht über genug Testosteron, Mut und Verschlagenheit, um ein derart dubioses Etablissement betreten zu können, ohne von allen anderen Gästen für einen Polizisten oder Idioten gehalten zu werden. Im Zweifel auch für beides. Eigentlich war ich mit Hondo hier vor der Tür verabredet, von ihm ist jedoch nichts zu sehen. An sein Handy geht er auch nicht.
Ich sammle vor dem
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