Frisch verlobt
fuhr Nicole dazwischen.
„Ja, aber Sie sind die ältere Schwester. Die Leute könnten Ihnen das Verhalten Ihrer Schwester anlasten.“
„Das wäre nichts Neues.“
„Andere Dinge könnten zur Sprache kommen.“
Übersetzt hieß das wohl, dass Jesses Verteidiger ihr Verhältnis mit Drew aufgreifen könnte. Eigentlich sollte das für Nicole ja eher eine Hilfe sein, aber tatsächlich könnte es einige Mitglieder der Jury auf den Gedanken bringen, dass es sich bei dem Fall um einen Racheakt handelt.
„Dann ist da noch der Punkt, dass sie schwanger ist. Es liegt nicht in unserem Interesse, das zu thematisieren, aber zum Zeitpunkt der Verhandlung dürfte sie wohl kurz vor der Geburt stehen, und das würde sich zu ihren Gunsten auswirken.“
Nicole war sich ziemlich sicher, dass Martin weitersprach, aber so wie ihr auf einmal die Ohren dröhnten, konnte sie ihn nicht mehr hören.
„Sagten Sie schwanger?“, unterbrach sie ihn, kaum in der Lage die Worte über die Lippen zu bringen.
Es entstand eine Pause. „Tut mir leid“, entschuldigte sich Martin schließlich. „Ich dachte, Sie wissen das.“
Wissen? Dass Jesse schwanger war? Nicole stand auf, ausnahmsweise einmal ohne Stock. „In welchem Monat ist sie?
„Ich bin mir nicht ganz sicher. Im vierten? Vielleicht auch mehr.“
Nicole fluchte. Jesse bekam ein Kind von Drew.
Die Hitze stieg ihr in die Wangen. Wegen der Demütigung? Oder war es doch nur guter altmodischer Zorn? Schwanger! Es sollte sie ja nicht einmal überraschen.
Nicole glaubte, sich übergeben zu müssen. Das Zimmer schien sich um sie herum zu drehen.
„Ich muss jetzt auflegen“, brachte sie noch heraus.
„Nicole, es tut mir so leid. Kann ich irgendetwas für Sie tun?“
„Nehmen Sie die Anzeige zurück.“
„Sind Sie auch sicher?“
Sie nickte, aber dann fiel ihr ein, dass er sie ja gar nicht sehen konnte. „Lassen Sie sie fallen. Sie haben recht. Es ist ein verlorener Kampf.“
Sie legte auf, ohne sich zu verabschieden. Dann schloss sie die Augen und ließ zu, dass der Schmerz sie übermannte.
Es ist einfach zu viel an Betrug, dachte sie und versuchte durch den Schmerz in ihrer Brust hindurchzuatmen. Zu viel an Verlust. Sie hatte ihrer kleinen Schwester alles gegeben, alles für sie geopfert, sie geliebt, für sie geträumt und immer nur das Beste für sie gewollt. Und dies war nun der Dank dafür.
Ein Baby. Jesse bekam ein Baby.
Nicole legte die Hand auf ihren eigenen flachen, leeren Bauch und sank wieder auf den Stuhl zurück. Es ging ja gar nicht darum, dass sie sich wünschen würde, mit Drew ein Kind zu haben. Aber eine Familie … Sie hatte sich schon immer eine Familie gewünscht. Und sie wollte jemanden lieben, der auch sie über alles liebte. Stattdessen hatten sie ihr ein Messer in den Rücken gerammt.
Was hatte das mit Gerechtigkeit …
Es läutete an der Haustür. Sie erhob sich und machte auf. Vor ihr stand eine dunkelhaarige Frau in mittleren Jahren auf der Veranda.
„Hallo“, grüßte sie. „Ich suche Jesse Keyes.“
„Und Sie sind?“, fragte Nicole.
„Paula Fenner. Jesse ist mit meinem Sohn Matt zusammen. Ich muss mit ihr reden. Ich habe ihr schon mehrere Nachrichten hinterlassen, aber sie reagiert nicht auf meine Anrufe.“
„Sie wohnt nicht mehr hier“, erwiderte Nicole und dachte, dass sie Jesse gleich noch einmal hinauswerfen würde, wenn sie im Haus wäre.
Paula runzelte die Stirn. „Wo ist sie denn? Bei Matt wohnt sie jedenfalls nicht.“
„Ich habe keine Ahnung.“ Nicole lehnte es ab, sich Sorgen zu machen. Jesse war zweiundzwanzig. Sie konnte selbst auf sich aufpassen.
„Darf ich fragen, warum sie ausgezogen ist?“ Paula wirkte neugierig und resolut.
Nicole zögerte. Ihr erster Impuls war, ihre Schwester zu schützen und die Wahrheit nicht zu erzählen. Dann aber erinnerte sie sich doch wieder an alles, was Jesse ihr angetan hatte. Jahrelang hatte sie sich um ihre kleine Schwester gekümmert und gesorgt, sie geliebt, und Jesse hatte nichts Besseres zu tun, als ihr das damit zu danken, dass sie mit Drew schlief und schwanger wurde.
Die Wut, die schon lange unter der Oberfläche schwelte, explodierte nun heiß und fordernd.
„Ich habe sie mit meinem Mann im Bett erwischt“, erklärte sie tonlos. „Ich habe sie hinausgeworfen.“
Paula wurde blass. „Das tut mir leid. Es überrascht mich zwar nicht, aber es tut mir leid.“
„Mir tut es auch leid“, sagte Nicole, trat ins Haus zurück und schloss die Tür. Ihr taten
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