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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Verzweiflung kroch in ihr empor wie ein flüssiger Wurm. Das Licht flackerte erneut, und sie wurde fast ohnmächtig vor Angst, als sie auf den Dachboden taumelte.
    Sie hörte nichts als das Heulen des Nachtwindes im Balkenwerk und ihren eigenen Atem.
    Als sie sich aufrichtete, fiel die Beklemmung von ihr ab, und sie amtete reine, klare Luft. Keuchend stand sie im obersten Stockwerk des Pfarrhauses, einem Ort der Träume, an dem es keine Türen gab. Kein Schlafzimmer und kein Wohnzimmer.
    Keine Jane.
    Nur einen langgestreckten, leeren Raum unter einem schrägen Dach, in dem sich etwas Kaltes, Nacktes kläglich an eine nie enden wollende Trauer klammerte, sich einen wilden, trotzigen Augenblick lang in einen wallenden, wirbelnden, seidigen Strudel aus Silbergrau verwandelte und dann verschwunden war.

39   Ebenen
    Unten im Salon des Pfarrhauses brannte Licht. Auf dem Kaminrost lagen braune, rauchende Holzscheite. Sie trug einen formlosen grünen Rollkragenpullover über dem weißen Nachthemd. Es war immer noch Nacht. Sie hatte eine Sandale verloren. Ihr war kalt, sie fühlte sich ausgelaugt und war unsagbar traurig.
    Und wusste nicht, weshalb.
    «Sie schläft», sagte Lol. «Ich habe nach ihr geschaut. Es geht ihr gut. Alles ist ganz normal.»
    «Außer mir.» Merrily warf ein paar Kohlen aufs Feuer. Ihr würde nie mehr richtig warm werden.
    Lol betrachtete sie mit ernstem Blick durch die runden Gläser seiner Nickelbrille, die irgendwie an ein altertümliches nautisches Teleskop erinnerte.
    Sie fragte: «Wo war ich?»
    «Oben an der Treppe. Sie sind getaumelt. Ich dachte schon, Sie würden herunterfallen.»
    «Was haben Sie gesehen? Wie war es? War es eine Art großer, offener Raum? Mit groben Balken? Feucht   …» Sie sprach nicht weiter. Sie wusste, was er sagen würde.
    «Es war alles normal. Genau wie jetzt.»
    «Sie waren nicht an der richtigen Stelle», sagte sie.
    «Vielleicht nicht.» Er hatte sie zum Sofa geführt und sich, mit dem Rücken gegen die Armstütze gelehnt, ans andere Ende gesetzt. «Vielleicht wirklich nicht.»
    Die Sekunden verstrichen. Er dachte nach.
    Sie sagte: «Sie tragen immer noch die Pfarrerkleidung.»
    Was für ein absurder Rollentausch.
    «Hm.» Er war gelassener, als sie ihn je erlebt hatte, aber vielleicht erschien es ihr nur aufgrund ihrer eigenen Verfassung so.
    «Wie spät ist es, Lol?»
    «Ungefähr zwanzig nach eins.»
    «Sind Sie schon lange zurück?» Sein Schlafsack lag noch zusammengerollt auf dem Teppich vor dem Kamin.
    «Ungefähr eine Stunde. Bin noch ein bisschen im Garten gewesen. Wollte nachdenken.» Er sah auf seine schwarzbekleidete Brust hinunter. «Schätze, ich habe ein bisschen Angst, das auszuziehen. Dieser Typ sieht die Welt viel objektiver als ich.»
    «Legen wir noch ein paar Kohlen aufs Feuer», sagte Merrily.Sie erzählte ihm von den anderen Nächten. Sie begann mit dem ersten Mal, als sie gedacht hatte, sie sei Jane nachgegangen, und immerzu Türen geöffnet und sich schließlich am Fuß der Treppe wiedergefunden hatte, von wo aus sie in die Dunkelheit dort oben hinaufgesehen hatte.
    Sie schloss die Augen und ließ den Kopf kreisen. In ihrem Nacken knackten kleine Knochen.
    «Und dann Sean.»
    «Ihr Mann?»
    «Mein toter Mann. Ich weiß, dass es kein Traum war.» Sie erklärte ihm die Sache mit dem abgefallenen Türknauf, der bewies, dass sie ihn in diesem Zimmer gesehen und nicht in ihrem Bett gelegen und geträumt hatte.
    Im Kamin leckten gelbe Flammen über die neuen Kohlenstücke. Lol schob sie mit dem Schürhaken zusammen.
    «Was ist passiert?»
    «Das weiß ich nicht. Ich bin in meinem Bett aufgewacht und dachte, es sei ein Traum gewesen. Eine Halluzination oder was auch immer. Ich bin in diesen Raum gegangen und habe Sean halluziniert. Ich habe Schuldgefühle, weil ich ihm nicht geholfen habe, als er Hilfe brauchte. Aber er wollte meine Hilfe nicht. Er hatte eine andere Frau.»
    «Sie gehören zu den Menschen, die sich immer für alles verantwortlich fühlen.»
    «Haben Sie das von Jane?»
    «Nein, ich habe endlich angefangen, mir meine eigenen Gedanken zu machen.»
    «Wenn es nicht an dem Haus liegt», sagte Merrily, «dann liegt es an mir.»
    «Könnte es nicht an beidem zusammen liegen? Dass das Haus etwas in Ihnen auslöst? Oder das Haus zusammen mit Ihnen und   … Jane?»
    «Das kenne ich schon. Jugendliche, die Poltergeist-Phänomene auslösen. Hab ich alles schon gehört. Aber so etwas passiert Jane nicht. Jane passiert hier gar

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