Fuehrungs-Spiel
unserer eigenen Spiele. So auch nach den Olympischen Spielen. Wie man auf der »Mind-Map« (S. 8 7 ) gut erkennen kann, galt diese Informationssammlung sowohl Aspekten, die das gesamte Team betrafen (zum Beispiel zu risikoreiche Spielanlage), als auch dessen Teilbereiche (zum Beispiel die Quote bei der Eckenverwertung): d ie äußeren Umstände (Beschaffenheit des Platzes), die Leistung einzelner Achsen (rechte Angriffsseite), die mannschaftliche Geschlossenheit (es gab Spieler, die nicht vollständig in die Gruppe integriert waren), den Betreuerstab (nicht mit der Mannschaft im Olympischen Dorf), psychologische (zu hohe Erwartungshaltung und anderes) und athletische Komponenten. Schließlich ging es auch um die Trainingssteuerung verbunden mit der Frage zu hoher Belastungen während der Vorbereitung. Zusammengetragen hatte ich all diese Informationen mit h ilfe von Fernsehbildern, aber auch unseren eigenen Videoaufnahmen von den Spielen. Jedes einzelne unserer Spiele habe ich in den nächsten Wochen sicher fünfmal genau seziert, die taktische Leistung nach meinen Eindrücken, aber auch statistisch ausgewertet. Unterlegt wurden meine Beobachtungen durch die Analyse der offiziellen Wettkampfstatistiken zu Standardsituationen , den Torschüssen oder zum erfolgreichen Eindrin gen in den Kreis des Gegners. Ich habe zu jedem deutschen Spieler eine Videoanalyse erstellt, ebenso zu den taktischen Stärken und Schwächen der anderen drei Teams unter den Top-Vier: Spanien, Australien und Niederlande. So hatte ich die Möglichkeit, die Leistungen unserer Konkurrenten mit unserem Spiel detailliert zu vergleichen. Ich habe mich sehr intensiv mit der Vorbereitungsphase der letzten zehn Wochen vor den Spielen von Athen auseinandergesetzt, habe unsere Trainingsinhalte zu den Schwachstellen in unserem Spiel in Relation gesetzt. Hatten wir zu wenig Seitenverlagerungen trainiert? Wie hätten wir unser Eckentraining weiterentwickeln können? Hatten wir zu viele Vorbereitungsspiele bestritten, waren die Schwerpunkte der Athletikarbeit hin zum Höhepunkt des Turniers richtig gesteuert? Und so weiter und so fort.
Nachdem diese Arbeit geleistet war, diskutierte ich – im zweiten Schritt – meinen Vorschlag für die Eckpunkte einer umfassenden Analyse mit meinen Mitarbeitern, aber auch mit einigen Führungsspielern. Die Innensicht der Truppe, die Wahrnehmung der problematischen Bereiche durch die Mitglieder des Teams selbst, ist für jede Analyse unabdingbar. So hat mir mein Kapitän und herausragender Führungsspieler Florian Kunz in einer sehr persönlichen Analyse dargelegt, dass er meinen Umgang mit ihm in einer Phase akuter Formschwäche in der Vorbereitungsphase als demotivierend und daher im Ergebnis leistungsmindernd empfunden habe. Und in der Tat hatte ich Kunz, der bei der WM 2002 aus meiner Sicht den Zenit seines Könnens erreicht hatte, im Vorfeld des Turniers intern in f rage gestellt, ihm signalisiert, dass es durchaus sein könne, dass er nicht zum Olympiakader gehören würde. Ich hatte ihn damit anstacheln, provozieren wollen – und offenbar das Gegenteil erreicht.
Parallel dazu haben meine Co-Trainer und die betroffenen Mitglieder des Stabes in ihrem Bereich mit einer weiteren detaillierten Daten- und Faktensammlung begonnen. Bilder, Statistiken und Aufzeichnungen wurden zu r ate gezogen und persönliche Einschätzungen gegeben und aufgezeichnet. Ich darf in diesem Zusammenhang aus der schriftlichen Analyse unseres Teampsychologen Lothar Linz zitieren: »So blieb«, schreibt Linz, »als ein wesentliches Problem die verstärkte Ablenkung vor und während der Olympischen Spiele. Der Umgang hiermit war keineswegs nur eine Aufgabe für den Psychologen. Da der Trainer schon bei mehreren Spielen zuvor dabei war, hatte er selber diese Gefahr frühzeitig gesehen und deshalb mit der Mannschaft verbindliche Einigungen getroffen, wie man gemeinsam mit dieser Frage umgehen wollte. So wurde festgelegt, dass Interviewanfragen über den Trainer zu gehen hatten. Es wurden regelmäßige gemeinsame Mahlzeiten vereinbart. Der Mannschaft wurde ausdrücklich zugesprochen, die ersten Tage nach der Ankunft in Athen zur Erkundung zu nutzen und auch an der Eröffnungsfeier teilzunehmen. Dafür sollte die Konzentration ab dem kommenden Morgen ganz dem sportlichen Aspekt gelten. Auch während des Turniers wurden gemeinsame außersportliche Aktivitäten geplant. Und es wurde immer wieder im Teamgespräch abgeklärt, ob die Konzentration
Weitere Kostenlose Bücher